Metaverse: Ein virtueller Treffpunkt realer Menschen
Was ist real im virtuellen Raum? Ein Interview mit Prof. Dr. Schelske
Fakt, Fake oder Fiktion? Was ist real im virtuellen Raum? Prof. Dr. Andreas Schelske, Soziologe und Professor für Kommunikationswissenschaft und Public Relation im Fachbereich Management, Information, Technologie, publizierte jüngst zur bildbasierten Kommunikation im Metaversum. Einem virtuellen Treffpunkt realer Menschen, in dem Realität und Fiktion fließend ineinander übergehen.
Für seine Publikation mit dem Titel „What is Real in the Metaverse?: Realities of Image-Based Communication in Virtual, Augmented, and Mixed Realities“ wurde Schelske mit dem International Award for Excellence des International Journal of The Image ausgezeichnet.
Im Interview sprechen wir mit ihm über seine Forschung, aktuelle Entwicklungen im Bereich immersiver Medien und Künstlicher Intelligenz und die Frage, was im Metaverse eigentlich „real“ ist.
JW: Prof. Dr. Schelske, für uns zur Einordnung: Was genau versteht man unter dem „Metaversum“?
Schelske: Ursprünglich hat der Schriftsteller Neal Stephenson diesen Begriff in einem Science-Fiktion-Roman Snow Crash im Jahr 1992 erfunden. Als Metaverse hat er dort eine digitales Universum bezeichnet, welches jenseits des bekannten Universum mit Sonne, Mond und Sternen für uns eine weitere Realität in den digitalen Medien erhält. Unter dem Metaversum sind demnach virtuelle Umgebungen zu verstehen, die ausschließlich in den digitalen Medien als virtuelle Realitäten erlebt werden können. Besondere Prominenz hat der Begriff erhalten, als das Unternehmen Facebook 2021 beschloss, sich in Meta Plattforms umzubenennen und ein offenes Metaversum zu entwickeln, in dem Individuen sich in virtuellen Räumen mit ihren virtuellen Stellvertretern, also ihren Avataren, treffen können.
JW: Sie sprechen in Ihrer Arbeit von „elastischen Realitäten“ im Metaversum: Was bedeutet „Realität“ in dem Kontext?
Schelske: Mit dem Begriff der Realität hat es in unserem Sprachgebrauch eine besondere Bewandtnis. In unserer alltäglichen Lebenswelt gehen wir davon aus, dass die Realität selbstverständlich das ist, was ich sehe, höre, rieche, also körperlich erlebe. Zur Realität gehört selbstverständlich für uns auch das, was ich in Zeitungen, im Fernsehen und in den Medien rezipiere. Bei manchen Zeitungen, aber auch Sozialen Medien, z.B. Instagram, haben allerdings schon viele erfahren, dass vielleicht nicht alles so erfahrbar sein wird, wie es dort als eine Realität in den sprachlichen und bildhaften Zeichen dargestellt wurde. Das Metaversum geht noch einen Schritt weiter. Denn in einem sehr augennahen Bildschirm, also einer VR-Brille (Head-Mounted-Display) kann ich virtuelle Räume und virtuelle Avatare erleben, die mir virtuelle Realitäten von Gegenständen zeigen, welche nur als Zeichen, aber nie in materieller Form zu erfahren sind. Allerdings sind solche virtuellen Realitäten nicht bedeutungslos, sondern sie werden beispielsweise für Computerspiele, in der Architektur oder bei Produktvorstellungen zunehmend relevant. Mit elastischen Realitäten möchte ich daher beschreiben, wie Individuen ihre Realitäten mittels und in Zeichen erleben, die mal mehr und mal weniger etwas mit dem zu tun haben, was außerhalb der Zeichen in der gegenständlichen Welt erlebbar ist.
JW: Wenn reale und virtuelle Welten zunehmend verschwimmen, was gilt im Zeitalter digitaler Bildwelten noch als „wirklich“?
Schelske: Ihre Frage ist sehr anspruchsvoll, sodass ich sie mit einem Beispiel beantworten möchte. Stellen Sie sich vor, dass Sie ein Scheinmedikament einnehmen, welches als Placebo keine Wirkstoffe enthält. Das Scheinmedikament besteht also nur aus beispielsweise Zucker. Das Besondere solcher Placebos besteht darin, dass sie bei manchen Menschen wirksam werden und sie beispielsweise infolge der Einnahme keine Schmerzen mehr haben. Das Placebo hat also als Zeichen wirklich gewirkt, obwohl es keine Wirkstoffe gegen Schmerzen enthält. Aus diesem Grund gilt auch im Zeitalter digitaler Bilder, dass das als „wirklich“ gilt, was „wirklich“ wirkt, und dies auch dann noch, wenn es aus realen oder eben virtuellen Umgebungen entstammt. Wir bewegen uns aufgrund der Medienverhältnisse zunehmend in elastischen Realitäten, die für uns mal mehr und mal weniger wirklich sind bzw. wirklich wirken.
JW: Sie betrachten insbesondere die bildbasierte Kommunikation im Metaverse: Welche Rolle spielen Bilder heute für unser Wirklichkeitsverständnis in digitalen Räumen?
Schelske: Für das Metaverse sind Bilder zunächst notwendig, weil sie es in der VR-Brille erst möglich machen, die Illusion eines virtuellen Raums zu erzeugen. Allerdings werden Bilder in der VR-Brille im besten Fall nicht mehr als Bilder wahrgenommen, um ein Gefühl zu erzeugen, dass wirklich eine andere Lebenswelt erfahrbar ist. Bilder erfahren in digitalen Räumen aber auch so eine hohe Wertschätzung, weil sie einerseits international alle Sprachbarrieren mühelos durchbrechen und andererseits national verstanden und interpretiert werden. Zudem folgen Bilder keiner Logik, so dass sie sehr gut dafür einsetzbar sind, ein emotionales Wirklichkeitsverständnis zu provozieren, welches in Gesellschaften fern aller sprachlichen Rationalität existiert.
JW: Wie verändert Künstliche Intelligenz das Erleben und Gestalten von Realitäten?
Schelske: Die Künstliche Intelligenz fungiert als ein Medium, welches während der Gestaltung unserer Realitätsdarstellung mithandelt. Wer daher die Mithandlungen einer Künstlichen Intelligenz unüberlegt verwendet, stellt beispielsweise die Realität eines Landes in einem Reiseführer dar, obgleich er es nie bereist hat. Wenn nun nur noch Reiseführer von Autoren veröffentlicht wenden, die das beschriebene Land nie bereist haben, dann werden Realitäten sehr elastisch und es wird wesentlich zufälliger, ob der wirkliche Weg in dem jeweiligen Land von Reisenden noch gefunden werden kann. Wenn ein Autor immer noch drei Bücher bei Amazon täglich veröffentlichen darf, dann kann man sich durchaus fragen, ob solche Bücher nicht Darstellungen von vermutlich sehr elastischen Realitäten anbieten. Manche Autoren veröffentlichen bei Amazon gegenwärtig um die 1000 Bücher im Jahr. Als Wissenschaftler schaffe ich solche Veröffentlichungsraten allerdings bisher nicht.