Ein verlorenes Jahr für das Wirtschaftswachstum
Das Handelsblatt titelt „Ein verlorenes Jahr für das Wirtschaftswachstum“ und behauptet, der deutschen Wirtschaft stehe ein schwieriges zweites Halbjahr bevor. Die Jade Welt sprach dazu mit Prof. Dr. Bernhard Köster.
JW: Herr Dr. Köster, sind Sie der gleichen Meinung wie das Handelsblatt?
Köster: Das Handelsblatt Research Institut gibt unter meiner Beteiligung alle drei Monate eine Konjunkturprognose für Deutschland heraus. Und in der Tat zeigen die Indikatoren ein Ende des Konjunkturzyklus an. Mit einem prognostizierten Wirtschaftswachstum von 0,3 Prozent für das Jahr 2019 befinden wir uns am unteren Ende der Skala im Vergleich mit den anderen Wirtschaftsforschugsinstituten.
JW: Was sind die wesentlichen Gründe dafür?
Köster: Nach einem rund zehnjährigen kontinuierlichem Sinken der Arbeitslosigkeit deutet einiges auf ein Ende des Aufschwungs am Arbeitsmarkt hin. Die Ankündigung der drastischen Stellenstreichungen der Deutschen Bank in dieser Woche reihen sich dabei nur in ähnliche Meldungen aus der Automobilindustrie und der chemischen Industrie ein. Zudem wirken sich die internationalen Handelskonflikte ebenfalls dämpfend auf unseren Außenhandel – den ehemaligen Motor der deutschen Volkswirtschaft – aus.
JW: Das Handelsblatt schreibt „Die Industrie steckt in der Rezession fest“. Wie lange wird diese Rezession voraussichtlich anhalten?
Köster: Von einer Rezession möchte ich noch nicht sprechen. Aber es wird in der nächsten Zeit viel von den wirtschaftspolitischen Gegenmaßnahmen abhängen. Als erstes ist dabei die Europäische Union zu nennen. Nachdem sich nach einigem Hin und Her wohl doch auf das Spitzenpersonal geeinigt werden konnte, ist es notwendig sich gemeinsam als dritte Kraft in den internationalen Handelsbeziehungen neben China und den USA zu etablieren. Erste positive Signale zeigen sich dabei in dem Handelsabkommen zwischen Europa (EU) und Südamerika (Mercosur).
Zweitens ist nach der voraussichtlichen Besetzung der Spitze der EZB mit Christine Lagarde mit einer weiter expansiven Geldpolitik zu rechnen.
JW: Welche Auswirkungen hat das auf den Staatshaushalt?
Köster: Für den Staatshaushalt bedeutet dies durch günstige Refinanzierungsbedingungen weiterhin einige Spielräume. Von den Regierungsverantwortlichen müssen diese Freiräume auch genutzt werden, ohne sich andauernd um sich selber zu drehen. Und drittens schlägt sich nun der durch die Digitalisierung ausgelöste Wandel voll am Arbeitsmarkt nieder. Gerade im Automobilsektor – unserer Schlüsselindustrie – scheint hier einiges verschlafen worden zu sein.
JW: Was genau meinen Sie damit?
Köster: Beispielhaft ist hier zu nennen, dass häufig die Umwälzungen, die durch eine Reduktion der Anzahl der Teile eines Automotors von rund 3000 (Verbrennungsmotor) auf 1000 (Elektromotor) ausgelöst werden, negativ dargestellt werden. In meinen Vorlesungen zur Makroökonomie bezeichne ich einen solchen Vorgang als technischen Fortschritt und damit schlichtweg die Bedingung für angemessenes stetiges Wirtschaftswachstum, wie es im Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft aus dem Jahr 1967 gefordert wird.
Werdegang
Dr. Bernhard Köster studierte Physik und Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg. Anschließend promovierte er dort zum Thema „Decision Rules, Transparency and Central Banks“ und arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Heidelberg und im Stab des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dann wechselte der gebürtige Tübinger in die freie Wirtschaft zu AWD Economic and Provision Research und der MaschmeyerRürup AG und war anschließend als Dozent bei der Sparkassenakademie Hessen-Thüringen tätig. 2015 übernahm Köster eine Professur für allgemeine VWL an der EBC-Hochschule in Düsseldorf und arbeitete parallel als Economist am Handelsblatt Research Institute. 2017 wechselte der 46jährige als Professor für VWL und quantitative Methoden an die Frankfurt University of Applied Sciences und nahm zum Sommersemester 2019 einen Ruf für VWL und quantitative Methoden an die Jade Hochschule in Wilhelmshaven an. Bernhard Köster ist verheiratet und hat drei Kinder.