„Es ist keine Frage, ob Hochschulen dies können, sie müssen es!“
Interview mit Prof. Dr. Stephan Kress, Professor für industrielle BWL an der Jade Hochschule
Über Digitalisierung und agile Arbeitsformen in der chemischen Industrie sowie die Rolle der Hochschulen in diesem komplexen Prozess diskutierte im Chemiepark Marl jüngst eine hochrangige Expertenrunde auf Einladung des Betriebsrates der Evonik Industries AG. Unter ihnen Prof. Dr. Stephan Kress, Professor für Industrielle BWL an der Jade Hochschule, der in der Jade Welt (JW) erläutert, wo wir in Sachen Digitalisierung stehen und welchen Beitrag Hochschulen leisten können.
JW: Wird das Wissen und die Befähigung um agile Arbeitsformen und digitaler Kompetenz in die Studienpläne (Curricula) bereits heute eingebaut? Wo stehen wir da?
Kress: Zunächst muss man festhalten, dass beide Thematiken nicht neu sind. Der Begriff Agilität existiert seit den 70er Jahren und auch die unter dem Begriff Digitalisierung subsumierten Themen sind nicht neu, sondern seit einigen Jahrzehnten unter Begriffen, wie beispielsweise CIM oder E.Business Gegenstand der Forschung, betrieblichen Anwendung und Lehre. So sind mir diese bereits in den 90er Jahren während meiner Tätigkeit am Heinz-Nixdorf-Institut bereits begegnet. Die nun vorhandenen technischen Möglichkeiten und Initiativen wie „Extreme Programming“ haben jedoch dazu geführt, dass diese in der Unternehmenspraxis Fahrt aufnehmen und sich zunehmend neue Arbeitsformen der Selbstorganisation etablieren. Abhängig von den Studiengängen werden diese Themen zum Teil in eigenen Modulen wie im Wirtschaftsinformatik-Studiengang vermittelt. Auch in projektorientierten Lehrformen findet diese Selbstorganisation Eingang. So motiviere ich gerade meine Masterstudierenden in einem studentischen Projekt mit einem MDAX-Unternehmen, Ansätze aus den agilen Methoden, wie beispielsweise SCRUM, in ihre Projektarbeit einfließen zu lassen.
JW: Welchen Beitrag können Hochschulen leisten, damit Beschäftigte ihren Wert auf dem Markt erhalten bzw. noch erhöhen?
Kress: Unstrittig und durch aktuelle Studien wie beispielsweise dem „Trendmonitor Weiterbildung“ des Stifterverbands belegt, ist, dass durch die Digitalisierung der Weiterbildungsbedarf steigt. Geht die Tendenz der Unternehmen in diesem Bereich leicht zu Hochschulen als Bildungspartner, so sind noch über 60 Prozent der Unternehmen indifferent, welchen Anbieter sie bevorzugen. Hier können die Hochschulen mit ihrem fundierten wissenschaftlichen Hintergrund einen wertvollen Beitrag leisten. Die Diskussion in Marl zeigte, dass im amerikanischen Umfeld Aus- und Weiterbildung durchaus anders wahrgenommen wird, insbesondere im Übergang zwischen Bachelor und Master mit längeren Phasen der beruflichen Tätigkeit zwischen beiden Studienphasen. Mit Zertifikatskursen, die nicht zwingend zu akademischen Abschlüssen führen, jedoch für diese auch verwendbar sind, können die Hochschulen im Rahmen des lebenslangen Lernens dem steigenden Weiterbildungsbedarf gerecht werden. Die Diskussionsrunde fand hier interessante Anknüpfungspunkte zwischen Unternehmen und Gewerkschaften auf der einen und Hochschulen auf der anderen Seite.
JW: Durch Industrie 4.0 entstehen neue Arbeitsformen und Berufsbilder. Wie schnell können sich Hochschulen diesen Veränderungen anpassen?
Kress: Um in der Philosophie der Agilität zu bleiben: „Niemand wartet auf uns!“ Es ist daher keine Frage, ob Hochschulen dies können, sie müssen es. Der vorgestellte aktuelle Monitor-Digitalisierung der IGBCE mit einem Rücklauf von über 14.000 Antworten zeigte eindrücklich auf, dass die Beschäftigten mehrheitlich positiv den Veränderungen der Digitalisierung gegenüberstehen und die Veränderungsbereitschaft groß ist. Dieses Momentum müssen die Hochschulen im Aus- und Weiterbildungsbereich nutzen. Neue Studiengänge, die beispielsweise zum Data Scientist oder Produkt-Service Ingenieur führen, aber auch bestehende Studiengänge mit einem engen IT-Bezug bereiten die Studierenden auf diese Berufsbilder vor. Die Digitalisierung der Produktion ist seit „Computer Integrated Manufacturing“ erprobt; neu ist vielmehr der vermehrte Bedarf an Informatik-Kenntnissen. Nicht minder herausfordernd ist die Veränderung der Berufsbilder im administrativen und planerischen Bedarf. Hier besteht sicher ein hoher Anpassungsbedarf, dem die Hochschulen durch eine zeitgemäße Ausbildung gerecht werden müssen.