Neuer Motor für den Strukturwandel in Niedersachsen
Minister Thümler übergibt Bewilligung für Erforschung regionaler Probleme
Wilhelmshaven.Oldenburg.Elsfleth.Vechta.Emden.Leer. Am Mittwoch, 19. Januar, hat Niedersachsens Minister für Wissenschaft und Kultur, Björn Thümler, die Bewilligung für einen großes Forschungs-Verbundprojekt überreicht. Sein Ministerium fördert das Vorhaben mit sechs Millionen Euro. An der Universität Vechta nahmen die Präsident_innen der drei antragstellenden Hochschulen die Bewilligung entgegen. Damit ist das Forschungsprojekt „4N“ für gesellschaftliche, technologische und ökologische Transformationen in Niedersachsen gestartet.
Die beteiligten niedersächsischen Hochschulen formen dabei einen neuen Zusammenschluss, der dringende Probleme im Nordwesten des Bundeslandes lösen soll. Den Kern des Verbunds bildet die Universität Vechta zusammen mit der Jade Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth und der Hochschule Emden/Leer. Zusätzlich sind Forschende der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und der Georg August Universität Göttingen eingebunden. Über vier Jahre erforschen sie aktuelle Herausforderungen zum Strukturwandel im ländlichen Nordwesten Niedersachsens und setzen gesellschaftliche, technologische sowie ökologische Transformationen in Gang.
Großer Bedarf an Lösungen für ländlichen Raum
Der neue Zusammenschluss der drei Hochschulen trägt den Titel „Forschungsverbund 4N: Nordwest Niedersachsen Nachhaltig Neu“. Mit der Übergabe der Bewilligung durch Minister Thümler kann er nun seine Arbeit aufnehmen, um Transformation und Strukturwandel im ländlichen Raum Nordwestdeutschlands zu erforschen und weiterzuentwickeln.
Der Bedarf an Antworten in der Region ist groß. Der Südoldenburger Raum etwa ringt mit Kapazitätsgrenzen, die sich für hochproduktive Intensivlandwirtschaft ergeben. Der industriell geprägte Raum um Emden wiederum steht vor Problemen des Strukturwandels während verkehrsmäßig weniger erschlossene ländliche Gebiete demografisch abgehängt werden und andererseits Teile der Küste Ostfrieslands touristisch überlaufen sind. Für solche Probleme wollen nun die Hochschulen Antworten entwickeln – gemeinsam mit den Menschen vor Ort.
Entsprechend hob Niedersachsens Minister für Wissenschaft und Kultur, Björn Thümler, die Bedeutung des 4N-Verbundprojekts hervor: „Der Verbund greift in seiner Zielsetzung die Besonderheit der ausgeprägt unterschiedlichen Nutzungsarten im Nordwesten Niedersachsens auf, die jeweils an die Grenzen ihrer Potenziale stoßen: die Intensivlandwirtschaft im Südoldenburger Raum, der Tourismus im Küstenraum der Ostfriesischen Inseln sowie der industriell geprägte Raum um Emden“, erläuterte der Minister am Mittwoch in Vechta.
„Er verfolgt dabei das Ziel, gesellschaftliche, technologische und ökologische Transformationen hin zu zukunftsorientierten, nachhaltigen Lebenszusammenhängen zu initiieren, zu begleiten und zu evaluieren."
Dr. h.c. Björn Thümler
„Damit trägt der Verbund unter Beteiligung der Akteure vor Ort entscheidend zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Lebensverhältnisse in den genannten Regionen bei und stellt sich der Notwendigkeit, Antworten auf sich existenziell veränderte Daseinsbedingungen zu finden.“
Wissenschaft arbeitet mit Akteur_innen der Region zusammen
Das Projekt zeichnet sich dadurch aus, dass es zahlreiche Verbindungen zwischen Bürger_innen, Unternehmen und Politik schafft, um Lösungen an der Lebenswirklichkeit zu entwickeln. Zunächst erforschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, was genau die treibenden Faktoren für die Transformation im niedersächsischen Nordwesten sind. An der praktischen Umsetzung arbeiten sie mit Akteurinnen und Akteuren in der Region zusammen. Dazu gehören auch die „Reallabore“, in denen Innovationen und neue Regulierungen für innovative Technologien, Produkte, Dienstleistungen oder Ansätze unter realen Bedingungen erprobt werden können. Mit Beteiligung verschiedener Wissenschaftsdisziplinen werden beispielsweise Mobilitätskonzepte im ländlichen Raum untersucht, die Erreichbarkeit medizinischer Versorgungseinrichtungen, Lösungen für die Landwirtschaft unter veränderten Klimabedingungen und neue Bildungskonzepte für Nachhaltige Entwicklung verfügbar gemacht.
Diese Zusammenarbeit zwischen Bürger_innen, Wirtschaft und Politik lasse eine lebendige, innovative Forschungspraxis entstehen, fügte die Präsidentin der Universität Vechta, Prof.‘in Dr.‘in Verena Pietzner, hinzu. „Die enge Verzahnung mit der Region ist eine große Besonderheit, die es uns ermöglichen wird, die vielfältigen Aspekte der Transformation möglichst genau zu erfassen. Das bedeutet, dass wir in der Region durch den Verbund 4N sehr viel über die unterschiedlichen Zusammenhänge zwischen Bereichen wie Mobilität, demographischer Wandel, Klimafolgen und Strukturwandel lernen werden.“ Die Universität Vechta habe es sich auf Basis ihres Hochschulentwicklungsplanes zur Aufgabe gemacht, zukünftige Generationen zu befähigen, komplexe Herausforderungen in ländlichen Räumen in einer globalisierten Welt zu bewältigen. Deshalb sei sie sich sicher, „dass wir mit unseren Forschungsprojekten einen guten Beitrag zur Transformation des Nordwestens und zur Profilierung der Hochschulstandorte leisten können“, so Präsidentin Pietzner.
Verstehen lernen, was Transformation antreibt
Die Präsidentin bezog sich damit auf einen außergewöhnlichen Aspekt des Verbundprojekts, das nachhaltige Ziele nicht nur in begrenzten Bereichen behandelt. Stattdessen werden die Wechselbeziehungen zwischen den Bereichen untersucht, in denen heute starke Veränderungsprozesse stattfinden. Das betrifft beispielsweise die demografische Situation, wirtschaftliche Potenziale, infrastrukturelle Gegebenheiten oder die kulturelle und landschaftliche Lage. Darüber werden Lösungen für konkrete Herausforderungen entwickelt Sie werden etwa für den landwirtschaftlichen Strukturwandel und die Klimawandel-Anpassung nützlich oder für die Raumplanung und Regionalentwicklung, für Mobilität in ländlich-urbanen Räumen, Gesundheit und Pflege, Transformative Bildung und Lernwerkstätten für eine nachhaltige Entwicklung.
Auch der Präsident der Hochschule Emden/Leer sprach von einer großen Wichtigkeit, den ländlichen Raum in einem Netzwerk vereint voranzubringen. „Der ländliche Raum abseits der großen Metropolen birgt große Chancen im Hinblick auf die erfolgreiche Gestaltung des Strukturwandels“, so Prof. Dr. Gerhard Kreutz. „Es ist ein großer Vorteil, die damit verbundenen Herausforderungen im Verbund mit starken Partnern angehen zu können.“
Dem stimmte der Vizepräsident für Forschung der Jade Hochschule zu.
„Das Projekt zeigt einmal mehr, dass die komplexen Problemstellungen unserer Zeit am Besten in einer interdisziplinären Kooperation zu bearbeiten sind.“
Prof. Dr. Holger Saß
„Das Besondere an diesem Projekt ist für mich, dass fünf Universitäten beziehungsweise Hochschulen sich gemeinsam und disziplinübergreifend drängenden Probleme unseres Bundeslandes widmen und zukunftsweisende Lösungen erarbeiten. In dieser Konzeption und Größe ist das ein außergewöhnliches und beachtenswertes Vorhaben. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit – auch mit unseren Praxispartnern.“
Prof. Dr. Enno Schmoll
An folgenden Teilprojekten sind Kolleginnen und Kollegen der Jade Hochschule beteiligt.
Teilprojekt 1
Koordination und Kommunikation
Sprecher: Prof. Dr. Burghart Schmidt (Universität Vechta)
Beitragende: PD Dr. Broder Breckling (Universität Vechta), Prof. Dr. Roland Pesch (Jade Hochschule), Prof. Dr. Sven Steinigeweg (Hochschule Emden-Leer), Prof. Dr. Christine Aka (Kulturanthropologisches Institut Oldenburger Münsterland)
Die Verbund-Koordination gewährleistet das Zusammenwirken der Beteiligten inhaltlich und organisatorisch. Dazu werden administrative und forschungsleitende Aufgaben wahrgenommen. Diese sind besonders umfangreich, da die Teilvorhaben bewusst institutionsübergreifend zusammengesetzt sind und in den Teilvorhaben Beteiligte verschiedener Institutionen und Disziplinen an gemeinsamen Themen arbeiten. Durch intensive Co-Betreuungen ist es auch den Arbeitsgruppen aus den Hochschulen möglich, Ergebnisse von Forschung und Entwicklung maßgeblich in Promotionsvorhaben einzubringen.
Teilprojekt 2
Transformation Geo-Toolbox Nordwest-Niedersachsen
Beitragende: Prof. Dr. Thomas Brinkhoff, Prof. Dr. habil. Roland Pesch, Prof. Dr. Frank Schüssler (alle Jade Hochschule), PD Dr. Gunther Schmidt (Universität Vechta)
Transformation und Strukturwandel im ländlichen Raum bedeuten abstrakt Veränderungen in Raum und Zeit. Die Repräsentation solcher Prozesse bedingt eine geeignete Verwaltung von spatiotemporalen Daten, um Planungen, Analysen (beispielsweise das Erkennen von Mustern, räumliche Extrapolationen) und Kommunikation (beispielsweise über Karten oder interaktive Visualisierungen) zu ermöglichen. Eine Einbeziehung von digitalen Technologien (beispielsweise raumbezogene SQL- und NoSQL-Datenbanken, Geoinformationssysteme, Internet of Things) wird im gesamten Verbund angestrebt, um einen partizipatives Zusammenwirken von wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung und lebensweltlicher Mitgestaltung (beispielsweise Citizen Science, Partizipation an Entscheidungsprozessen) zu realisieren.
Teilprojekt 3
Raumplanung und Regionalentwicklung
Beitragende: Prof. Dr. Ingo Mose, Dr. Peter Schaal (beide Universität Oldenburg), apl. Prof. Dr. Karl Martin Born (Universität Vechta), Heike Brunken-Winkler (ARSU GmbH), Prof. Dr. Roland Pesch (Jade Hochschule)
Strukturwandel und Transformation ländlicher Regionen bedingen tiefgreifende Veränderungen in der Raumnutzung und der infrastrukturellen Ausstattung. Daraus resultiert ein Anpassungs- und Gestaltungsbedarf durch formelle und informelle Planungsinstrumente sowie eine Anpassung verschiedener Planungsnormen. Im Bereich der Raumordnung betrifft dies sowohl die sektorübergreifende und abwägungsdirigierte räumliche Gesamtplanung als auch die durch Fachgesetze gesteuerten sektoralen Fachplanungen. Im Bereich der Regionalentwicklung sollen in diesem Teilvorhaben gegebenenfalls informelle Planungsinstrumente entwickelt und ausgestaltet werden. Eine zentrale Rolle für die Förderung und Ausgestaltung des Transformationsbedarfs spielt das regionalpolitische Förderinstrumentarium. Hier bedarf es einer regional angepassten Strategie, um den lokalen Förderbedarf angemessen bedienen zu können. Eine besondere Bedeutung erlangt dabei auch die Nutzung und Analyse von räumlich und temporal hoch aufgelösten Geodaten, die beispielsweise zur Neudefinition von planerischen Richt-, Grenz- und Orientierungswerten zur infrastrukturellen Ausstattung genutzt werden können. Aus planungstheoretischer und planungspraktischer Sicht ist es von herausragendem Interesse, wie die Ergebnisse aus den informellen, zivilgesellschaftlich und wissenschaftlich geprägten Foren (hier Real-Labore) in die politischen Planungsentscheidungen der demokratisch legitimierten Regional- und Kreisparlamente sowie Kommunalparlamente Eingang finden können.
Teilprojekt 4
Governance von Nutzungskonflikten und Entwicklungsperspektiven am Beispiel der Ostfriesischen Inseln und des Küstenraumes
Beitragende: Prof. Dr. Amelie Bernzen (Universität Vechta), Prof. Dr. Enno Schmoll (Jade Hochschule)
Dieser intensiv in Netzwerk-Aktivitäten und in ein Zusammenwirken mit den Teilvorhaben 2, 3 und 5 eingebundener Arbeitsbereich befasst sich mit der Entwicklung von Lösungsansätzen bei Nutzungskonflikten und Entwicklungsperspektiven ausgehend von den Ostfriesischen Inseln. Dies erscheint notwendig vor dem Hintergrund der komplexen akuten und perspektivischen naturräumlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen, denen die Ostfriesischen Inseln und der Küstenraum gegenüberstehen. Küstenräume, wie auch die Nordseeküste, gehören zu den wichtigsten Lebensräumen der Menschheit und sind in besonderem Maße den lokalen und globalen Veränderungen ausgesetzt. Veränderungen in der natürlichen Umwelt sind in Küstenräumen in besonderem Maße spürbar. Der zu erwartende Meeresspiegelanstieg und andere Naturgefahren wie eine steigende Variabilität, Frequenz und Intensität an Stürmen und Überflutungen machen es unausweichlich, sich diesen Zukunftsszenarien zu stellen und einen Transformationsprozess im Umgang mit diesen slow and rapid onset events einzuleiten (siehe auch Landwirtschaft und Klimawandelanpassung).
Teilprojekt 5
Rurban Design und Mobilität
Beitragende: Lutz Robbers PhD, Prof. Dr. Rainer Schwerdhelm, Dr. des. Dipl.-Ing. Almut Wolff (alle Jade Hochschule), Prof. Dr. Jantje Halberstadt, Dr. Anne Kathrin Schwab (Universität Vechta)
Im Mittelpunkt des Teilprojektes steht die Exploration hybrider Räume, in denen sich Charakteristika urbaner und ruraler Räume überlagern. Prägend für Nordwestdeutschland, bilden diese Räume Regionen übergreifende Phänomene ab, die sich sowohl in räumlichen Strukturen und urbanen Morphologien als auch in Praktiken der Mobilität und in den Übergangs- und Austauschphänomenen widerspiegeln. Die Mobilität von Menschen und Dingen ist als fundamentale Eigenschaft des Rurbanen zu verstehen. Besondere Qualitäten des öffentlichen Raumes jenseits urbaner Verdichtung oder dörflicher Gemeinschaft sowie neue Möglichkeiten nachhaltiger Mobilität sollen hinsichtlich ihres regionalen Problemlösungspotenzials exploriert, entworfen und zur Diskussion gestellt werden. Dabei wird die Nutzung neuer Digitaltechnologien verstärkt einbezogen. Die spezifischen Komponenten möglicher Entwicklung sollen zusammen mit lokalen Akteuren in ihren Praxis-Implikationen anhand von wissenschaftlichen Szenarien analysiert werden. Dabei steht die Qualität von öffentlichem Raum, Infrastruktur und Mobilität im Vordergrund. Es geht um die grundsätzliche Erarbeitung und Entwicklung einer Spezifität des „Rurbanen“ als wesentlicher Basis für die Untersuchung der Frage, welche nachhaltigen Transformationspotenziale sich aus den Bedingungen des Rurbanen ableiten lassen. Eingebettet in Participatory Action Research und ein Participatory Design Thinking werden wir mit den lokalen Akteuren an gestalterischen Erkenntnissen und planerischen Handlungsoptionen in rurbanen Kontexten arbeiten. Besondere Schwerpunkte sind die transformativen Planungsaufgaben im Bereich der Mobilität und der öffentlichen Räume sowie deren Zusammenspiel mit regionalgestalterischen Herausforderungen. In diesem Kontext kommt dem sogenannten „Mobilitätshub“ eine zentrale Bedeutung zu, welches entsprechend der Dimensionen der Nachhaltigkeit, sowohl kulturelle, ökonomische, ökologische und soziale Dimensionen enthalten soll. Die übergeordnete Forschungsfrage für dieses interdisziplinäre Verbundprojekt lautet: Wie können Rurbanität und rurbane Mobilität im Nordwesten Niedersachsens unter den Bedingungen von Nachhaltigkeit entworfen und im Rahmen der anstehenden Transformationsprozesse weiterentwickelt werden?