Kolumne: "Nicht dümmer - nur anders!"

Kolumne von Prof. Dr. Gerd Hilligweg, erschienen in der Wilhelmshavener Zeitung

„Die jungen Leute werden immer dümmer.“ Das Gymnasium ist die Volksschule von heute.“ „Heute können die Studierenden ja nicht mal mehr einen Dreisatz.“ „Heute macht ja jeder Abitur.“

Was müssen sich unsere Schülerinnen und Schüler und unsere Studierenden nicht alles so anhören! Gottseidank schauen sie dabei zumeist auf ihr Handy und/oder tragen Kopfhörer. Sie können und wollen es einfach gar nicht hören, was die „alten Leute“ so über sie erzählen.

Ich lehre seit fast 30 Jahren, davon 20 Jahre an der Hochschule in Wilhelmshaven. Mein klares Statement: Die jungen Leute sind heute nicht dümmer, nur weil sie anders sind als früher! Sie haben eine andere Sprache und andere Verhaltens- und Kommunikationswege. Doch ist dies etwas Neues? Ich erinnere mich, von meinem Vater Ähnliches über meine Generation gehört zu haben – damals, als ich der „Junge“ war und er der „Alte“.

Ich bin davon überzeugt, dass die Fähigkeiten der jungen Menschen, auf die Deutschland für die Zukunft baut, in keiner Weise geringer sind als die ihrer Eltern oder Großeltern. Früher war eben immer alles schwerer, so glauben wir „Alten“. (Ich definiere die „Alten“ mal aus der Sicht meiner Kinder, fühle mich selber ja noch jung!) Sogar mein drei Jahre älterer Bruder behauptet seit seiner Schulzeit, er habe noch ein „richtiges“ Abitur abgeleistet, mein Abitur hingehen sei ja geradezu hergeschenkt gewesen.

Mein klares Statement: Die jungen Leute sind heute nicht dümmer, nur weil sie anders sind als früher!

Die Zeiten und die Menschen ändern sich. Können und sollten wir den veränderten Sozialisierungsprozess der jungen Menschen aufhalten? Nein! Können wir auf das verändere Lern- und Kommunikationsverhalten der jungen Menschen reagieren? Ja! Und das als ein „Muss“ – für uns als Eltern und für uns als Lehrende. Dieser Aufgabe mussten sich schon Generationen von Lehrenden vor uns stellen und haben sie erfolgreich gemeistert. Warum sollten wir „Lehrende von heute“ dies nicht auch können? Lehre ist heute anders als gestern und wird morgen anders sein als heute.

Für alle Zweifler: Es kann auch jede Menge Spaß bereiten, sich einer neuen Generation zuzuwenden. Als Vater eines 12- und eines 15-jährigen Sohnes erlebe ich diese Herausforderung täglich. Ein solches „Fitness-Studio“ hält jung. Oft ist die Überraschung groß, dass durch die „Medienwand“ doch so vieles an Wissen in die Köpfe dringt. Dabei gibt es offensichtlich eine Konstante, die über die Jahrzehnte unverändert bleibt: Kinder hören am besten das, was sie eigentlich nicht hören sollten.

Wenn ich ehrlich bin (und ich hoffe, dass meine Söhne diese Kolumne nicht lesen): Ich staune, was meine Söhne alles in der Schule lernen müssen bzw. dürfen. Das ist nicht ohne! Da hat ein Schultag mit Busfahrt, Unterricht und Hausarbeiten auch gut seine acht Stunden. Das ist ein ganzer Arbeitstag. Überstunden am Wochenende für die Klausurenvorbereitung noch nicht mal eingerechnet.

Werden diese Schülerinnen und Schüler zu Studierenden, dann freue ich mich und heiße sie seit mehr als zehn Jahren als Dekan des Fachbereichs Wirtschaft Semester für Semester herzlich willkommen. Unsere Studierenden sind offen, respektvoll und leistungsbereit. Mir ist nicht bange vor der Zukunft!

Zur Person

Dr. Gerd Hilligweg, Jahrgang 1964, leitet seit 2007 als Dekan den Fachbereich Wirtschaft der Jade Hochschule. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaft war er Assistent am Seminar für Wirtschafts- und Finanzpolitik der Ruhr-Universität Bochum und erlangte dort seinen Doktortitel. Anschließend arbeitete er in der volkswirtschaftlichen Abteilung des Gesamtverbandes des Deutschen Steinkohlenbergbaus. 1999 erhielt Dr. Hilligweg den Ruf auf eine Professur für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik an die damalige Fachhochschule Wilhelmshaven (heutige Jade Hochschule). 

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