Kolumne: "Wilhelmshaven- eine Stadt zwischen Aschenputtel und Dornröschen?"

Kolumne von Prof. Dr. Enno Schmoll

"Wilhelmshaven - eine wundervolle Stadt zwischen Aschenputtel und Dornröschen?". Bei dem Titel mag der eine oder andere denken: wohl eher "wundersam" statt "wundervoll". Dies hat vor ein paar Jahren auch eine Studie von uns bestätigt: Das Image der Stadt ist bei Einheimischen weniger positiv als bei seinen Gästen.  Gut das ist nicht neu und lässt sich andernorts mit ähnlichem Ergebnis wiederholen. Doch gerade Wilhelmshaven hat doch so viel ungenutztes Potenzial, - hört man (eher) von Auswärtigen. 

Ein solch zu wenig genutztes Potenzial ist aus wissenschaftlicher Sicht der Tourismus - er scheint das wenig beachtete Aschenputtel von Wilhelmshaven zu sein. Mehr als etwa drei Millionen Gäste haben wir jedes Jahr im Einzugsgebiet, mit insgesamt rund 20 Millionen Übernachtungen. Doch in Wilhelmshaven kommen davon zu wenige an. Viele fahren - so hört man von den Gästen selbst und umliegenden Touristikern - gleich weiter nach Oldenburg zum Shoppen. Massive Kaufkraft fließt an der Stadt ungenutzt vorbei.

Warum das? Einkaufen kann man doch auch hier, mag man denken. Alles da. Naja, fast alles. Doch genau dort liegt der Punkt: Beim Einkaufen geht es um den - zugegeben eher uns Männern zugerechneten - Wunsch nach Bedarfsdeckung. Ich kaufe mir, was ich gerade benötige. Wer hingegen shoppen geht, kann mitunter selbst dann zufrieden zurückkehren, wenn er gar nichts gekauft, aber einen erlebnisreichen Tag verbracht hat. Shoppen heißt: Einkauf ERLEBEN. Metaphorisch geht es hier eher um das Jagen, als um das Erlegen der Beute.

Doch ist Wilhelmshaven offenbar als Jagdgebiet für die Urlauber weniger interessant als Oldenburg. Nüchtern betrachtet liegt Oldenburg weit im Hinterland, mit langer Anfahrt. Okay, die Einkaufszone ist wirklich attraktiv, aber das Besondere sucht man - auf den ersten schnellen Blick - dort vergeblich. Immerhin - die Oldenburger lieben und leben ihre Stadt! Sehr sogar. Das wiederum wirkt so sehr anziehend, dass vermutlich jeder jemanden aus Wilhelmshaven kennt, der inzwischen nach Oldenburg gezogen ist - nur, um von dort jeden Tag nach Wilhelmshaven zurück zur Arbeit zu pendeln. Eigentlich paradox. Wo doch das Wohnen in Wilhelmshaven sogar deutlich günstiger ist.

Kann doch Wilhelmshaven mit seiner exklusiven Lage an der Nordsee und eigenem Südstrand punkten, - so würde es wohl ein Makler feilbieten. Doch offenbar scheint das nicht genug zu sein. Diese doch eigentlich besondere Stadt wird zu wenig geliebt und kaum gelebt - wenn ich dem folge, was meine Studierenden mir erzählen. Wilhelmshaven - das Dornröschen.

Wachgeküsst - zumindest touristisch - hätte Wilhelmshaven vielleicht das angekündigte Outlet-Center, mit seinem stimmig erscheinenden Innen-Konzept und pfiffigem Marketing. Doch das ist passé. Aus dem sehnlichst erwarteten Prinzen auf prächtigem Ross - also mit vielen Pächtern - wurde in den sozialen Medien bald der Baron auf einer Kanonenkugel. Ob jetzt die Dornenhecke für den Prinzen zu hoch und undurchdringlich war oder das prächtige Ross doch nur ein störrischer Esel oder gar der Prinz eher dem Eichendorffschen Taugenichts entsprang - die Wahrheit mag irgendwo dazwischenliegen. Schade ist es allemal. Für Tourismus wie Einwohner.

Dornröschen schläft immer noch und das Aschenputtel lebt sein tristes Leben weiterhin eher unbeachtet. Bei den Überlegungen zur Neugestaltung des jetzt unbeplanten Terrains wird der Tourismus offenbar noch zu wenig gewichtet. Doch gerade gute Tourismusgestaltung ist zugleich Lebensraumgestaltung – von der auch die Einwohner profitieren. Tourismusentwicklung benötigt immer ein klares Bekenntnis und den eindeutigen (politischen) Willen dazu, flankiert durch sinnvolle öffentliche Investitionen sowie Kreativität und etwas Mut.

Wer also braucht heutzutage noch strahlende Prinzen auf hohem Ross? Das braucht es nur in alten Märchen. In der Realität kann Aschenputtel sich selbst befreien, wenn man ihr das nötige Werkzeug gibt und sie nur machen ließe. Dann könnte Aschenputtel endlich Dornröschen wachküssen. So gehen moderne Märchen heute.

Dornröschen schläft immer noch und das Aschenputtel lebt sein tristes Leben weiterhin eher unbeachtet.

Zur Person

Prof. Dr. Enno Schmoll ist seit 2012 Professor für Tourismuswirtschaft und Destination-Management an der Jade Hochschule. Zugleich ist er unter anderem Vorstandsmitglied des Tourismusverbandes Nordsee und begleitet seit Jahren Orte in ihrer Tourismusentwicklung.

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