Birgit Remuss ist Dozentin für Entwerfen, Darstellen und Gestalten am Fachbereich Architektur der Jade Hochschule. Im Sommersemester 2022 lehrte sie an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki. Nicht nur wegen der engagierten Kolleg_innen würde sie das akademische Auslandssemester wiederholen. Die Redaktion der Jade Welt (JW) fragt nach, welche Erfahrungen die Architektin vor Ort gemacht hat.
JW: Liebe Frau Remuss, wie kamen Sie darauf eine Zeit im Ausland zu lehren?
Remuss: Die Idee entstand während des Corona- Lockdowns. Frustriert durch Homeoffice und fehlenden Kontakt zu den Studierenden begann ich geistig in die Ferne zu schweifen. Ich informierte mich über Möglichkeiten, als Dozentin im Ausland zu unterrichten, recherchierte die Partnerhochschulen der Jade Hochschule und stieß dabei auf einen hilfsbereiten emeritierten deutschen Professor, der jahrelang in Griechenland gelebt und gearbeitet hatte.
Von da an ging alles sehr schnell. Er vermittelte mir den Kontakt zu zwei griechischen Professorinnen, die an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki lehren. Es begann ein lebhafter, interessanter und anregender Austausch. Schnell war klar, dass wir einen guten Draht zueinander und Lust hatten, miteinander zu arbeiten.
Über Birgit Remuss
Dipl. Ing. Birgit Remuss studierte an der TU Berlin Architektur. Als Architektin arbeitete sie mehrere Jahre in den Architekturbüros Prof. O.M. Ungers und Ortner & Ortner: Baukunst, bevor sie sich als Szenografin selbstständig machte. Seit 2002 ist sie in der Lehre tätig. Sie war Dozentin an der TUBerlin, an der Akademie der bildenden Künste Wien und an der staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe (HfG). Seit 2012 ist sie Lehrkraft für besondere Aufgaben am Fachbereich Architektur der Jade Hochschule Oldenburg, an dem sie Entwerfen/Darstellen/Gestalten, Urban Design und Szenografie unterrichtet.
JW: Wie ging es weiter und von welcher Seite bekamen Sie Unterstützung?
Remuss: Die ersten Einladungen liefen über Erasmus. Bereits im Herbstsemester 2021 kamen die beiden Kolleginnen aus Thessaloniki für eine Woche nach Oldenburg. Sie gaben Korrekturen in meinen Lehrveranstaltungen und der Fachbereich hatte das Glück, zwei spannende Vorträge der Kolleginnen zu hören. Auch ich ging für eine Woche nach Thessaloniki, wo ich als Gastkritikerin herumgereicht wurde und einen Vortrag über die Architektur meiner Heimatstadt Berlin hielt. Nach Absprache mit dem Fachbereich in Oldenburg, mich für ein sogenanntes Akademisches Auslandssemester freizustellen, hatte ich beim Deutschen Akademischen Austauschdienst einen Antrag auf ein Stipendium für eine Kurzzeitdozentur gestellt und bewilligt bekommen. Also ging es im Februar für das Sommersemester 2022 nach Thessaloniki.
JW: Wie wurden Sie vor Ort in der Lehre eingesetzt?
Remuss: Von Anfang an wurde ich als vollwertiges Mitglied des Lehrkörpers in die Betreuung und Korrektur von Entwurfsseminaren, Notenvergabe und Vorlesungen integriert. Gemeinsam mit einer Kollegin habe ich im vierten Semester das Entwurfsseminar „Architectural Design in natural Environment“ geleitet. Außerdem war ich Gastkritikerin im Masterseminar „Insights: International Competition_Office Complex in Berlin“ und Teil des Teams der Lehrenden im interdisziplinären Postgraduiertenprogramm ‘’Museology and Cultural Management’’, den es meines Wissens in dieser Form in Deutschland nicht gibt. Zusätzlich habe ich Diplomand_innen betreut.
Insgesamt fand ich erstaunlich wenige Unterschiede im Umgang mit den Studierenden. Hier wie dort wird mit ähnlichen Schwierigkeiten gekämpft und sich über ähnliche Erfolge und Fortschritte gefreut. Im Unterschied zu Deutschland lassen sich die Studierenden in Griechenland im Durchschnitt mehr Zeit zum Studieren, was oft an den leider immer noch krisenbedingten fehlenden Zukunftsperspektiven liegt.
JW: Griechisch ist keine leicht zu lernende Sprache. Wie kamen Sie zurecht?
Remuss: Trotz regelmäßigem Unterricht reichte mein Griechisch nicht für komplizierte Konversationen oder gar Vorträge. So war die Unterrichts- und Vorlesungssprache bei mir Englisch, was tatsächlich kein Hindernis darstellte. Nahezu alle Studierenden sprachen Englisch auf einem ausreichend hohen Niveau. Auch außerhalb der Universität kam ich so überall problemlos zurecht.
Impressionen des internationalen Workshops „Architecture and Film, inter-culturel experience with the urban space“, den Birgit Remuss mit koordiniert hat. (Fotos: privat)
Filmmaterial zu dem Workshop ist auf youtube zu finden.
JW: Wie haben Sie das Leben in Griechenland erlebt?
Remuss: Bis in den April hinein war es außergewöhnlich kalt, bisweilen hörte ich nahezu neidisch den deutschen Wetterbericht. Als es dann aber heiß wurde, blieb es konstant über 30 Grad, mit hoher Luftfeuchtigkeit und wenig Abkühlung bei Nacht. Das mediterrane Leben spielt sich bis spät nachts auf der Straße ab und man gewöhnt sich schnell an die Dauerhitze. Die Lage als Handels- und Hafenstadt und die Einflüsse der verschiedenen Kulturen hat Thessaloniki zur Hochburg der guten Küche gemacht. Ob in Tavernen, auf Märkten und Bazaren, in Restaurants oder Bäckereien, alles ist köstlich!
JW: Wie sind Sie mit der griechischen Mentalität zurechtgekommen?
Remuss: „Siga siga“ heißt sinngemäß: immer mit der Ruhe (wörtlich übersetzt: langsam langsam). Ich habe die Griechen als sehr freundlich und höflich, sehr ruhig und entspannt wahrgenommen. Es dauert lange und ist äußerst selten, bis sie wütend werden, dann jedoch wird es richtig laut!
Sprichwörtlich ist die griechische Unpünktlichkeit, meine deutsche Korrektheit wurde zum Running Gag. Sosehr ich mich auch bemühte, ich war immer und überall die Erste.
JW: Sie sind jetzt zurück in Oldenburg. Wie geht es weiter?
Remuss: Um meine positiven Erfahrungen in Zukunft auch mit Studierenden teilen zu können, habe ich gemeinsam mit den Kolleginnen in Griechenland mehrere internationale Workshops für Studierende aus Deutschland, Griechenland, der Türkei und Finnland geplant. So zum Beispiel einen Workshop mit dem Arbeitstitel „Licht und Architektur“, bei dem wir uns sowohl poetisch als auch ökologisch mit Licht und seinem Einfluss auf Architektur ganz im Norden Europas (Finnland), der Mitte (Deutschland) und im Süden (Griechenland) auseinandersetzen möchten. Inspiriert durch meine positiven Eindrücke möchte ich Studierende ermutigen, Möglichkeiten wie Erasmus wahrzunehmen, um andere Kulturen und Mentalitäten, andere Herangehensweisen und Lehrmethoden kennenzulernen.
JW: Ihr Fazit?
Remuss: Mein akademisches Auslands-Semester war ein voller Erfolg und auf vielen Ebenen eine großartige Erfahrung. Der historische und architektonische Reichtum Griechenlands ist zutiefst beeindruckend. Der Austausch mit den sehr kosmopolitischen Kolleginnen war äußerst inspirierend und die Arbeit mit den Studierenden anregend und auch für mich lehrreich. Es sind wirkliche Freundschaften entstanden und die sprichwörtliche griechische Gastfreundschaft und Offenheit hat mich sehr berührt.
Ich kann mir gut vorstellen, in Zukunft noch einmal in Griechenland zu unterrichten. Wie meine Kollegin Prof. Venetia Tsakalidou es zu meinem Abschied ausdrückte: „You are one of us now“.
Unterstützung durch das International Office
Das International Office unterstützt Lehrende und Mitarbeiter_innen bei der Planung und der Finanzierung von Auslandsaufenthalten im Rahmen von Erasmus+ und weltweit. Darüber hinaus werden Fremdsprachenkurse zur Vorbereitung von Auslandsaufenthalten sowie der Vorbereitung von englischsprachigen Lehrveranstaltungen angeboten. Den Fachbereichen steht das International Office unterstützend und beratend beim Aufbau und Ausbau von internationalen Hochschulkontakten und Drittmittelprojekten zur Seite.