Schiffshavarien: Wachsende Risiken verstärken Handlungsbedarf
Expertentreff am Campus Elsfleth diskutiert Gefahrenlage
Die Gefahr von schweren Zwischenfällen und Unglücken auf hoher See wächst. Aber die deutsche Küste ist gut gewappnet, die Folgen von Schiffskollisionen, verlorenen Containern oder Ölverschmutzungen zu begrenzen. Dieses Fazit haben Fachleute zum Abschluss der Tagung „Havarien in der Schifffahrt. Wer den Schaden hat…“ am vergangenen Donnerstag in der Jade Hochschule am Studienort Elsfleth gezogen.
In der gemeinsamen Veranstaltung des Kompetenzzentrums GreenShipping Niedersachsen standen die aktuelle Sicherheitslage auf den Weltmeeren, Konzepte und Technologien zum Schutz vor Unfällen im Mittelpunkt. Das Konsortium setzt sich aus der Mariko GmbH Leer, der Hochschule Emden/Leer, der Jade Hochschule, dem DLR Institut SE, dem Fraunhofer IWES und der Geschäftsstelle Niedersachsen des Maritimen Clusters Norddeutschland zusammen. „Havarien werden sich nie vermeiden lassen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Nautischen Vereins von 1868, Dr. Iven Krämer: „Die hier vorgestellten Konzepte und Technologien lassen erwarten, dass wir mit den Gefahren noch besser umgehen können.“
„Wenn wir alles richtig machen, ist unser größter Erfolg, dass nichts passiert“
Die verstärkte Nutzung von Nord- und Ostsee für die Offshore-Windkraft schränkt den Bewegungsspielraum für die Schifffahrt ein. Energieträger wie Öl und Flüssiggas werden zunehmend in Schiffen transportiert. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine wachsen auch die Risiken für die kritische Infrastruktur im Westen. Überfälle der Huthi-Rebellen im Jemen auf die Zufahrten zum Suez-Kanal zwingen die internationale Schifffahrt zum langen und gefährlichen Umweg um das Kap der Guten Hoffnung.
„Wir stehen vor großen Herausforderungen, die wir mit viel Fantasie, neuen Technologien und mutigen Entscheidungen meistern müssen“
, sagt der niedersächsische Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des Landtags-Unterausschusses für Häfen und Schifffahrt, Nico Bloem, zum Auftakt der Tagung. Das Engagement für mehr Sicherheit lohnt sich aus seiner Sicht, auch wenn kein Ergebnis sichtbar wird: „Wenn wir die nötigen Ressourcen mobilisieren und alles richtig machen, ist unser größter Erfolg, dass nichts passiert.“
„Im Zweifelsfall fragen wir nicht, ob wir zuständig sind, sondern machen erst einmal“
Die Kollision der Frachter Verity und Polesie im vergangenen Oktober in der Deutschen Bucht zeigt für den Sprecher des Havariekommandos in Cuxhaven, Dr. Benedikt Spangardt, wie unvermittelt Katastrophen geschehen können. Das 2003 vom Bund und den Küstenländern gegründete Kommando sei dank klarer gesetzlicher Grundlagen, einer engen Zusammenarbeit mit allen notwendigen Partnern an Land und eines ständigen Trainings mit ihnen bestens aufgestellt, komplexe Schadenslagen in den Griff zu bekommen. „Im Zweifelsfall fragen wir nicht, ob wir zuständig sind, sondern machen erst einmal“, betonte Spangardt.
Die Öffentlichkeit bekommt nach Überzeugung von Tagungsteilnehmern allerdings schnell einen verzerrten Eindruck von den tatsächlichen Gefahren auf hoher See. Dass der Containerfrachter MSC Zoe vor fünf Jahren bei stürmischem Wetter vor den ostfriesischen Inseln 342 Container verlor, prägt noch immer das Bild von den Risiken des Seeverkehrs. „Tatsächlich gingen in 2023 weltweit nur 221 Container über Bord - bei 250 Millionen Containern, die per Schiff bewegt wurden“, betonte Prof. Dr. Klaus H. Holocher aus dem Fachbereich Seefahrt und Logistik der Jade Hochschule.
Initialzündung für Technologieprojekte zum Schutz vor Containerverlusten
Dass über Bord gegangene Container sowohl ein Sicherheitsrisiko für die Schifffahrt selbst als auch eine Umweltgefahr darstellen, war die Initialzündung für verschiedene auf der Tagung präsentierte Technologie-Projekte. An der Jade Hochschule etwa befasst sich das Team um Prof. Dr. Christian Denker mit der Entwicklung eines Funksystems zur Ortung von auf See verlorenen Containern. Und der niederländische Unternehmer Michiel Gunsing hat ein Frühwarnsystem entwickelt: Im Schiffsrumpf installierte Sensoren messen die Bewegungen eines Frachters in schwerer See; über eine Analyse der Staupläne und Ladungsinformationen kann das System frühzeitig die Schiffsführung auf besonders gefährdete Ladungsteile aufmerksam machen.
„Es geht tatsächlich um den Schutz des gesamten Lebensraumes.“
Allerdings zeigte sich nicht jeder davon überzeugt, dass neue Technologien oder ein ausgefeiltes Havariemanagement die Risiken insbesondere auf der Nordsee minimieren. Für den Sprecher der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste (SDN), Peter Andryszak, ist es eine grundsätzliche Frage, ob die Deutsche Bucht überhaupt von 400 Meter langen Containerschiffen befahren werden muss. Das Seegebiet vor der deutschen Küste gehört zu den am stärksten genutzten Meeren weltweit und ist entsprechend hohen Risiken ausgesetzt. Die SDN setzt sich seit mittlerweile 50 Jahren für einen wirkungsvollen Schutz vor Katastrophen ein: „Es geht nicht nur darum, Havarien zu vermeiden oder ihre Folgen zu minimieren“, betonte Andryszak, „es geht tatsächlich um den Schutz des gesamten Lebensraumes.“
Satelliten und Drohnen behalten Seezeichen und Schifffahrtswege im Blick
Zur erhöhten Sicherheit auf See kann aber auch eine neue Nutzung bereits bewährter Technologien beitragen. Das demonstrierten Harald Rossol, Geschäftsführer der b.r.m. IT & Aerospace GmbH, sowie Götz Anspach von Broecker, aus der Forschung und Entwicklung von Airbus Defence und Space in Bremen. Sie stellten ein Konzept vor, wie die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung die rund 450 Fahrwassertonnen im Bereich der Deutschen Bucht in nur wenigen Stunden mit Hilfe von Drohnen und Satellitentechnik kontrollieren können. „Bislang ist dafür der ganzjährige Einsatz eines Spezialschiffes mitsamt Besatzung erforderlich“, so von Broecker.
Die Reaktion auf die Präsentation des Airbus-Managers zeigt beispielhaft, welche Wirkung die Fachtagung zum Havariemanagement hat. In seinem Vortrag hatte von Broecker der Jade Hochschule eine Projektform nahegelegt, damit diese gemeinsam mit der Schifffahrtsverwaltung das Konzept in einem Reallabor erproben kann. Noch während der Konferenz bekam von Broecker von den teilnehmenden Landtagsabgeordneten aus Hannover das Signal, dass sie sich um die Finanzierung des Vorhabens kümmern wollen.
Dr. Susanne Neumann, Leiterin der Geschäftsstelle Niedersachsen des Maritimen Clusters Norddeutschland freut sich über solche Ergebnisse: „Genau dies ist doch unsere Aufgabe – die richtigen Akteure zu vernetzen, Projekte zu initiieren und damit die gesamte maritime Branche voranzubringen und kontinuierlich ein bisschen besser zu machen. Dafür setzen wir als Maritimes Cluster und gemeinsam mit allen Partnern des Kompetenzzentrum GreenShipping Niedersachsen ein.“