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Von Umbruch, Wertschätzung und dem Willen, Neues zu lernen

Im Gespräch mit Dekan Prof. Jens Peter Thiessen

Prof. Jens Peter Thiessen wurde Anfang des Jahres als Dekan des Fachbereichs Architektur im Amt bestätigt. 2003 wurde er auf eine Professur für „Entwerfen und Angewandte Informatik“ an die Jade Hochschule berufen und war langjährig als Studiendekan und Mitglied im Senat tätig. Vor seiner Berufung arbeitete er als selbstständiger Architekt, als Projektleiter für den deutschen Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig sowie in Architekturbüros in London und Japan. Die Jade Welt (JW) spricht mit ihm über seine Pläne für die neue Amtszeit…

JW: Herr Thiessen, welche Herausforderungen sehen Sie in den nächsten drei Jahren auf Ihren Fachbereich zukommen?

Thiessen: „Ja – ich geb‘ dann mal meinen Bildschirm frei…“ – wir erinnern uns? Und 3G war kein Mobilfunkstandard, sondern die Voraussetzung, um irgendwo reinzukommen. Damals 2021 war tatsächlich mein vordringlichster Wunsch, den ganz normalen Alltag zurückzubekommen und das ist irgendwann eingetreten, ganz leise; Covid 19 spielt kaum noch eine Rolle. Aber freuen wir uns nun über besagten Alltag, wo wir ihn nun wiederhaben? Das persönliche Miteinander, das Leben auf dem Campus, der kurze Begegnung auf dem Flur oder beim Essen in der Mensa? Oder stören wir uns doch schon wieder an den vielen Kleinigkeiten, die den Alltag leider auch ausmachen? Sind wir an alles irgendwie gewöhnt, vergesslich, abgestumpft? Die Bilder von ganzen Seminaren mit FFP2 Masken, Klausuren in der Mensa und verwaisten Fluren, all das sieht heute wirklich befremdlich aus. 

Das Schätzen der Normalität ist also auch eine Herausforderung; allein, dass wir in Sicherheit und unbedroht leben können. Nach Corona ist es uns klar geworden: abseits aller technischen Innovation bleibt unsere menschliche Interaktion immer noch am wichtigsten; die Anderen sehen, mit Verständnis, Toleranz und Empathie, sogar zu diskutieren oder zu streiten. Sich das aber im Alltag wirklich bewusst zu machen und an die Studierenden weiterzugeben, das ist eine echte und dauerhafte Herausforderung.

Prof. Jens Peter Thiessen (Foto: Andreas Rothaus/Jade HS)
Prof. Jens Peter Thiessen (Foto: Andreas Rothaus/Jade HS)

Unsere Studierenden verändern sich auch. Sie setzen andere Schwerpunkte und haben andere Wünsche, aber auch andere Sorgen als ich in meiner oder der nachfolgenden Generation. Mich erstaunt, wie deutlich wir GEN Y oder GEN Z unterscheiden wollen und sogar können. Es gibt Unterschiede, die keineswegs nur technischer Natur sind, sondern und vor allem gesellschaftlich. Wir Lehrenden müssen die Welt der anderen (jüngeren) Generationen erkennen und nicht indolent nur unsere eigenen Vorstellungen zum Maßstab machen; das ist eine Herausforderung mit vielen Unbekannten.

Bei aller anfänglichen Faszination ist die Entwicklung der künstlichen Intelligenzen auch eine möglicherweise bedrohliche Perspektive. Noch klingen die meisten KI-Vorhaben wie Experimente. Aber das wird sich schnell verfestigen und in alle Lebensbereiche eingreifen. In wenigen Jahren wird GEN Alpha in die Hochschulen kommen und selbstverständlich KI für sich nutzen. Begriffe wie Kreativität und Originalität werden die Schulen und vor allem die Hochschulen besonders fordern.

Im besten Fall wird alles besser, aber was, wenn nicht? Wir dürfen nicht die Zaungäste sein des vielleicht größten Umbruchs unserer (der Boomer) Generation: von der Schreibmaschine bis zum Quantencomputer. Damit einhergehend verändert sich die Medienwelt, die Beeinflussung, die Manipulation, die Wahrnehmung; damit verändern wir uns auch. Wir müssen unseren eigenen Weg mit jeder Innovation neu ausrichten und das ist nicht einfach.

 

Sind wir immer wieder bereit zu lernen? 
Von unseren Studierenden erwarten wir das. 
Für beide also eine große Herausforderung. 

JW: Welche Schwerpunkte möchten Sie als Dekan setzen?

Thiessen: Die große Welt können wir ja nicht beeinflussen, unsere kleine Welt in Oldenburg am Fachbereich schon. Wir haben uns gerade diversifiziert und haben neben Architektur auch Urban Design im Angebot. Der Bachelorstudiengang Urban Design hat im Sommersemester 2024 die ersten 18 Bachelorabschlüsse hervorgebracht. Der zugehörige Masterstudiengang startet zum Wintersemester 2024/25 mit einer ersten Kohorte. Es ist eine große Bereicherung, aber auch konkrete Herausforderung. Denn nun müssen die Curricula mit Leben und Lehrenden gefüllt werden, auch wenn die Stellen dafür noch nicht alle besetzt wurden. Es gleicht einem großmeisterlichen Schachspiel, alles in Räume sowie Stunden- und Personalpläne umzusetzen. Es gibt interessante Überschneidungen und Synergien mit den Architekturstudiengängen, auch wenn die grundsätzliche Sicht unterschiedlich ist. Aber diverser als das, wollen wir zurzeit nicht und würden es auch nicht schaffen. Der im Wintersemester 2025/26 startende Studiengang Raumplanung am Fachbereich Bauwesen Geoinformation Gesundheitstechnologie wird die Reihe der Studienfächer wunderbar ergänzen und wird die Zusammenarbeit intensivieren.

Dass wir mit dem anderen Oldenburger Fachbereich sehr gut zusammenarbeiten können, ist großartig und der Plan, unsere Kooperationen auszubauen, ist fest im Blick. Inzwischen gibt es auch intensivere Zusammenarbeit zwischen Oldenburg und Wilhelmshaven. Wir wollen aber darüber hinaus internationaler werden. Einer von vielen Schritten ist: im Herbst freuen wir uns über eine Kollegin aus Griechenland, die unterstützt vom DAAD im Tausch für eine unserer Mitarbeiterin kommt = Dozentenmobilität. Mehr Englisch wäre toll, mehr professioneller Sprachunterricht auch. Zwar können unsere Studierenden wirklich gut, mindestens diese eine Sprache. Um mehr ausländische Studierende zu aktivieren, brauchen wir eine gute Basis in Englisch. Daran wollen und müssen wir arbeiten.

Die internationalen Kooperationen sind wichtig und werden unterstützt, wo es geht. Und das betrifft nicht nur die finanzielle Seite. Beim Versuch, für Urban Design einen Doppelabschluss mit einer französischen Hochschule hinzubekommen, merken wir, wie spannend und schwierig so ein Weg ist.

Tatsächlich ist die Nachfrage nach unseren Studienplätzen hoch. Dennoch ist Werbung ein Thema zum „Drangewöhnen“ und das macht viel Arbeit: der Jade Campustag, die Berufsmessen, Besuche in Schulen, JOIN, Erlebnishochschule, Zukunftstag sind Beispiele, wo neben den Online-Medien direkt geworben wird. Das braucht ein Umdenken und kostet Geld. 

Die Demografie zeigt, dass der Rückgang der jungen Menschen in unserem Einzugsgebiet noch circa zwei Jahre andauert. Wir müssen also aktiv bleiben und vor allem attraktiv. Unsere zahlreichen Gastprofessuren sind dabei genauso wichtig wie gute Ausstattung, gute Projekte, gute Ergebnisse, gute Räume, gute Lehre, gute Stimmung und natürlich gute Studierende. 

Der Neubau der Campuswerkstatt und das Café Klinge sind dabei ganz besondere Highlights, die mehr bewirken werden, als nur gute Räume zu sein. Sie schaffen Identifikation mit unserem Fachbereich und mit der Jade Hochschule.

Erfahren Sie mehr über das neue Studienangebot:

JW: Was wünschen Sie sich für Ihre Amtszeit?

Thiessen: Ich werde nicht müde, die Vorteile einer Präsenzhochschule gegenüber der stärker werdenden Konkurrenz der Online-Hochschulen zu betonen. Mich ärgert die teilweise plumpe populistische Bauernfängerei zum Beispiel durch falsches Verwenden des Begriffs „Duales Studium“ oder „100 % online studieren“. Letzteres hatten wir schon in der Pandemie und steht eher für Vereinsamung vorm Bildschirm. „Studieren ohne Abitur und NC“ - wann scheitert man denn dann? Oder ist ein bezahltes Bewertungssystem vielleicht gar nicht so besonders objektiv? Einzelfälle werden immer damit zurechtkommen, aber die Mehrheit? Es gibt Gründe für eine Hochschulzugangsberechtigung oder einen Numerus clausus. „Studieren, wann und wo man will“ wird beworben, mit Bildern vom Zeltplatz in Spanien; Ernsthaftigkeit klingt anders und die Liste der falschen Prophezeiungen ist lang….

Wir haben einen Campus und Campusleben, mehrere sogar. Wir kennen unsere Studierenden und sie uns, wir sehen sie und wir kümmern uns um sie. Es gibt wichtige studentische Mitbestimmung in allen (!) Gremien, es gibt Fachschaften, Asten, Bibliotheken, Seminare, Ausstellungen, Exkursionen, Forschung, Kolloquien, Netzwerke, lebendige internationale Kooperationen und mittendrin leibhaftige Lehrende, die ihre gesamte Kompetenz einbringen und es darum einen echten Dialog zwischen Lehrenden und Studierenden gibt. 

Diese Seiten von Hochschule müssen wir bewusster hervorheben, vor allem in der Werbung. Als staatliche Hochschule können wir Entscheidungen ohne zwingende Gewinnmaximierung treffen, das ist ein Riesenvorteil. 

 

Wir müssen keinen Profit machen, außer gute Absolventinnen und Absolventen. 

 

Das Studium ist doch nicht nur Wissensvermittlung oder „Druckbetankung“, sondern begleitet die Studierenden in einer wichtigen Phase ihres Lebens zwischen Schule und Berufstätigkeit. Ich wünsche mir diesen Geist, genau diese Wertschätzung ganz grundsätzlich für unsere Studierende und das nicht nur für meine Amtszeit. 

Ansprechpartnerin in der Redaktion