Wie Digitalisierung die Hörgeräteforschung voranbringt
Mit seinem Vortrag zum Thema„Grenzenlose Versorgung? Die Digitalisierung des Gesundheitswesens“ eröffnete Richard Paluch am vergangenen Donnerstag die Vortragsreihe „Digitalisierung und ihre Folgen für Medien und Gesellschaft“ des Instituts für Medienwirtschaft und Journalismus (InMWJ) in diesem Wintersemester.
Weil das Tragen eines Hörgerätes in europäischen Ländern noch immer häufig mit einer Stigmatisierung einhergeht, steuern bereits heute Menschen mit einer Hörminderung ihre Geräte unauffällig mit einer App auf ihrem Smartphone. Damit nannte Richard Paluch in seinem Vortrag am Donnerstagnachmittag ein erstes Beispiel zu seinem Thema: „Grenzenlose Versorgung? Die Digitalisierung des Gesundheitswesens“. Es war der erste von drei Beiträgen in der Vortragsreihe „Digitalisierung und ihre Folgen für Medien und Gesellschaft“ des Instituts für Medienwirtschaft und Journalismus (InMWJ) in diesem Wintersemester.
Im Folgenden erläuterte der Referent, dass Menschen mit einer Hörminderung nicht nur bei Kinobesuchen und in der lautsprachlichen Kommunikation mit anderen Menschen Schwierigkeiten haben, sondern auch die Orientierung im Straßenverkehr erschwert wird, Aufmerksamkeitsdefizite im Beruf auftreten und Probleme bei der Wahrnehmung von Emotionen entstehen.
Alltagssituationen sind eine Herausforderung
In der Hörgeräteforschung gibt es verschiedene Ansätze, diesen Problemen zu begegnen. Derzeitige Technologien verwenden beispielsweise Algorithmen bzw. Signalverarbeitungs-techniken zur Sprachverbesserung, wie etwa Rauschunterdrückung oder Richtungsfilterung. Dennoch bleibt für einen Hörgeräteträger die Sprachkommunikation in vielen Alltagssituationen – wie der klassischen Cocktailparty – eine Herausforderung. Aktuell wird deswegen an Beamformern geforscht, die einen Kegel produzieren, der nur Geräusche aus der Richtung verstärkt, in die auch geguckt wird.
Weiterhin berichtete Paluch von seiner gemeinsam mit weiteren Forscherinnen und Forschern durchgeführten Studie, bei der in einem audiologischen Labor mit animierter audiovisueller Umgebung Experimente durchgeführt wurden. 21 Probandinnen und Probanden, davon sieben „normalhörende“, sieben Erstnutzer von Hörgeräten und sieben erfahrene Hörgerätenutzer, nahmen daran teil. Ihnen wurden während der Experimente eine animierte Mensa mit vier ebenfalls animierten Grafikfiguren sowie eine animierte Straße gezeigt und sie wurden dazu befragt, wie sie diese Situationen erlebt haben.
Wahrnehmungen unterscheiden sich
In der Auswertung der Interviews ergab sich, dass ein- und dieselbe animierte Umgebung unterschiedlich erfahren wird. So nahm eine beispielhafte Probandin die animierte Umgebung nicht als virtuelle Situation, sondern als real wahr. Sie sah sich selbst im selben Raum wie die virtuellen Gesprächsteilnehmer in der Mensa, beugte sich vor und wandte ihnen ihr Ohr zu, um sie besser zu verstehen. Ein anderer Proband erlebte die räumliche Erfahrung als abgegrenzt, so als würde er einen Film schauen. Er sah sich nicht selbst in der gegebenen Situation, sondern nahm die technische Vermittlung wahr.
Diese und weitere Forschungsarbeiten, unter anderem auch mit Videobrillen, sollen dazu dienen, die Alltagstauglichkeit von Hörgeräten zu erschließen. Allerdings warf der Referent auch die Frage auf, ob es bei der „Versorgung“ von Hörminderungen mithilfe digitaler Technik auch Grenzen geben müsse: „Da geht es um menschliche Freiheit, zum Beispiel, weil man seinen Gesprächspartner möglicherweise gar nicht die ganze Zeit direkt ansehen möchte, um ihn verstehen zu können.“ Solche Fragen wurden im Anschluss an den Vortrag diskutiert.
Hintergrund
Richard Paluch ist Stipendiat des Evangelischen Studienwerks e. V. Villigst im Promotionsschwerpunkt Dimensionen der Sorge. Zurzeit schreibt er seine Dissertation, die sich mit der Technisierung der Sorge am Beispiel von Hörgeräten befasst. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der Techniksoziologie. Seit drei Semestern lehrt er das Fach Soziologie im Studiengang Medienwirtschaft und Journalismus an der Jade Hochschule.