Dr. Karsten Schubert an die Jade Hochschule berufen
„Baugeschichte als ein großartiges Reservoir an Lösungsansätzen“
Dr. Karsten Schubert wurde Anfang Februar auf eine Professur für Entwerfen und Baugeschichte an die Jade Hochschule berufen. Er lehrt und forscht künftig am Fachbereich Architektur am Campus Oldenburg. Die Jade Welt (JW) fragt nach…
JW: Was hat Sie zum Wechsel an die Jade Hochschule bewogen?
Schubert: Ich vertrete zukünftig am Fachbereich Architektur das Lehrgebiet Baugeschichte und Entwerfen. Diese Kombination ist, wenn Sie die zahlreichen deutschen Architekturstudiengänge durchsuchen, außerordentlich ungewöhnlich. Ein eher wissenschaftlich-theoretisches Fach, die Baugeschichte, ist hier verbunden mit dem praktisch-kreativen, auf das Entstehen von Neuem ausgerichteten Entwerfen.
Das passt hervorragend zu meinem Werdegang, denn ich habe theoretische Architekturforschung und die Praxis des Bauens und Entwerfens immer parallel betrieben und so aufeinander bezogen: die Baugeschichte erweist sich als ein großartiges Reservoir an Lösungsansätzen und Ideen für die Bearbeitung heutiger komplexer Entwurfsaufgaben und umgekehrt lässt uns das aktive Entwerfen ganz anders auf die Formen der Vergangenheit schauen. Die Baugeschichte ist dann nicht abgeschlossenes Kapitel der Vergangenheit, sondern gerät in einen lebendigen, offenen Fluss.
An der Jade Hochschule habe ich nun die Möglichkeit, meine Forschungstätigkeit zu intensivieren und mein Konzept des Bezugs von Theorie und Praxis an angehende Architekten weiter zu geben.
JW: Mit welchen Erwartungen und Vorstellungen treten Sie die Professur an?
Schubert: Die großen Krisen der Gegenwart wurzeln auch in der Art und Weise wie wir heute unsere gebaute Umwelt gestalten. Die Finanzkrise hatte ihren eigentlichen Auslöser in einer Immobilienblase, die entstand aufgrund der fehlgeleiteten Wünsche weiter Bevölkerungskreise in ökonomisch und ökologisch höchst problematischen Einfamilienhäusern leben zu wollen. Die Klimakrise wird wesentlich mit verursacht nicht nur von Häusern, die viel zu viel Energie verbrauchen, sondern mehr noch von baulichen Strukturen, die nicht flexibel auf unseren Bedarf reagieren und räumlich so organisiert sind, dass täglich weite Wege zurückgelegt werden müssen. Die Architekten tragen also nach wie vor eine große gesellschaftliche Verantwortung. Das möchte ich den Studierenden vermitteln und ich hoffe, mit Studienprojekten aufzeigen zu können, welches Potenzial in der Architektur und der Betrachtung ihrer Geschichte liegen. Wenn Sie zum Beispiel feststellen, dass das Zusammenleben von Eltern mit ihren ein bis drei Kindern in abgeschlossenen Wohnungen geschichtlich nur über eine extrem kurze Tradition verfügt, werden Sie scheinbar modernen Formen wie dem Clusterwohnen mit einem ganz anderen Selbstverständnis begegnen.
JW: Welche Schwerpunkte möchten Sie in Lehre und Forschung setzen?
Schubert: In der Architektur verbinden sich rationale, objektive Prinzipien, die das Bauen selbst, die verwendeten Materialien und deren Fügung betreffen, mit eher subjektiven, künstlerischen Prinzipien, die den gestalterischen Ausdruck eines Gebäudes prägen. Architektonische Objekte nehmen also eine Zwischenstellung ein; sie sind Teil der natürlichen, physikalisch betrachtbaren Umwelt, aber gleichzeitig künstlerisches Produkt des Menschen wie Literatur, Musik oder bildende Kunst, und damit Ausdruck unserer persönlichen Interpretation der Welt.
Meine aktuellen Forschungen beschäftigen sich mit Erschließungssystemen. Hierzu gibt es bisher erstaunlich wenig systematische Forschung und ich beabsichtige an der Jade Hochschule in Kooperation mit der Abteilung Geoinformation daran zu arbeiten, dass das nicht so bleibt. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Erkenntnisse, die wir bei der Betrachtung baulicher Erschließungsstrukturen gewinnen, aufgrund dieser Zwischenstellung der Architektur, sowohl physikalisches Objekt wie künstlerisches Produkt zu sein, für andere Wissensbereiche – die Soziologie, Psychologie oder Medizin – von großem Interesse sein können.
Werdegang
Karsten Schubert studierte Architektur an der Gesamthochschule Kassel, der ETH Zürich und der Universität Stuttgart, wo er 1995 das Studium als Diplom-Ingenieur abschloss. Er arbeitete als Projektleiter unter anderem im Büro Prof. Hans Kollhoff in Berlin. Von 2001 bis 2007 lehrte er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Bauplanung und Entwerfen an der Universität Karlsruhe (heute KIT). 2014 schloss er seine Promotion ab. Die Dissertationsschrift „Körper Raum Oberfläche. Strukturen gebauten Raums und architektonische Raumbildung“ erschien im Gebr. Mann Verlag Berlin und wurde mit dem Hermann Billing Preis ausgezeichnet. Von 2016 bis 2020 übernahm Schubert Lehraufträge an der Hochschule Anhalt, Dessau und der Hochschule RheinMain, Wiesbaden. Der Forschungsschwerpunkt des 53-Jährigen ist der Architektonische Raum. Neben Veröffentlichungen dazu war er Mitkurator der Ausstellung RoomInRoom und beteiligte sich an einem Film über den Architekten Johannes Uhl. Seit 2014 hat er ein eigenes Büro in Berlin.