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Einzigartiger Versuchsaufbau im Oldenburger Windkanal

Forschende in Oldenburg untersuchen unter Laborbedingungen, wie sich Rotorblätter von Windenergieanlagen verformen

Foto: Hendrik Heißelmann
Foto: Hendrik Heißelmann

Einzigartiger Versuchsaufbau im Oldenburger Windkanal

Der Oldenburger Windkanal ist ein ganz besonderes Forschungslabor: Auf einer 30 Meter langen Teststrecke können Forschende Windgeschwindigkeiten von bis zu 120 Stundenkilometern erzeugen. Hier lassen sich über einen Turbulenzgenerator Windturbulenzen herstellen, wie sie in der Natur vorkommen. Das Entscheidende für die Forschung ist: Anders als in der Natur lassen sich hier, unter Laborbedingungen, die Turbulenzen kontrollieren und somit die Versuche beliebig oft reproduzieren.

Während des „Corona-Lockdowns“ gaben Simon Nietiedt, Tom Wester und Lars Kröger aus dem Team des Projektes TurbuMetric im Interview spannende Einblicke in die Planung eines ganz neuen Versuchs, der diesen Sommer im Windkanal stattfindet:

ForschungsNotizen (FN): Welche Forschungsfrage untersucht Ihr?

Tom Wester (TM): Im Rahmen der Windenergieforschung untersuchen wir die Frage: Welche Windböe erzeugt welche Strömungssituation am Flügelprofil einer Windkraftanlage und wie sieht die resultierende Verformung des Flügels aus? Der Hintergrund ist folgender: Windkraftanlagen stehen fast dauerhaft in turbulentem Wind. Das ist vergleichbar mit Start und Landung beim Flugzeug, dieses Wackeln und Ruckeln findet bei Windkraftanlagen permanent statt. Diese Kräfte ermüden auf Dauer das Material eines Rotorblattes, sind daher ungewollt. Mit dem Wissen, welche langfristigen Schäden die Kräfte am Material verursachen, lässt sich das Material optimieren und langlebiger machen. Übergreifend untersuchen wir deshalb die Frage, was sich an den Rotorblättern einer Windkraftanlage verändern oder verbessern lässt, damit plötzliche Windböen als zusätzliche Belastung weniger Einfluss auf die Anlage haben als bisher. Es geht uns darum Wissen bereitzustellen, das der Windparkindustrie hilft, die Lebensdauer von Windkraftanlagen zu erhöhen und die Kosten für Windenergie zu senken.

Für den Versuch sind zwei optische Messsysteme und eine Modellwindkraftanlage vor dem Turbulenzgenerator (aktives Gitter) aufgebaut. Foto: Lars Kröger
Für den Versuch sind zwei optische Messsysteme und eine Modellwindkraftanlage vor dem Turbulenzgenerator (aktives Gitter) aufgebaut. Foto: Lars Kröger
Schematische Darstellung des Versuchsaufbaus. Foto: Illustration zur Verfügung gestellt von Simon Nietied/Turbumetric
Schematische Darstellung des Versuchsaufbaus. Foto: Illustration zur Verfügung gestellt von Simon Nietied/Turbumetric

FN: Wie untersucht Ihr das?

Tom Wester (TW): Wir planen einen großen Versuch für diesen Sommer. Um die Windströmung am Rotorblatt und die Verformung dieses Blattes zu messen, brauchen wir hochentwickelte Technologien und einen sehr komplexen Versuchsaufbau. Zunächst einmal haben wir eine Modellwindkraftanlage, an der die Messungen stattfinden. Der große Windkanal hat einen 3 mal 3 Meter großen Auslass und ist 30 Meter lang. Die dafür entworfene Modellwindkraftanlage basiert auf einer weltweit bekannten Referenzturbine, die für Simulationen genutzt wird. Zu unserem Versuchsaufbau gehört außerdem der Turbulenzgenerator – das so genannte aktive Gitter mit 3 mal 3 Metern und 80 Servomotoren, welche die einzelnen Achsen des Gitters steuern. Um diese Basis bauen sich unsere Messsysteme auf, das sind zum einen unser Highspeed PIV-System, mit dem wir die Umströmung der Rotorblätter erfassen, und die Photogrammetrie der Jade Hochschule, mit der wir die Verformung am Flügel messen. Für das gesamte Experiment brauchen wir sehr unterschiedliche Expertise und Erfahrungen, daher arbeiten wir interdisziplinär und hochschulübergreifend zusammen.

Die Modellwindkraftanlage im Oldenburger Windkanal basiert auf einer weltweit bekannten für Forschungszwecke entwickelten Referenzturbine. Foto: Lars Kröger
Die Modellwindkraftanlage im Oldenburger Windkanal basiert auf einer weltweit bekannten für Forschungszwecke entwickelten Referenzturbine. Foto: Lars Kröger

FN: Was heißt Highspeed-PIV-System?

TW: Wir verwenden die Methode der ‚Particle Image Velocimetry‘, kurz PIV-Methode, um die Windströmung zu erfassen. Wir lassen winzige Partikel mit dem Wind in den Kanal einströmen. Diese Partikel bilden die Windströmung visuell ab. Zum PIV-System gehört ein Laser, mit dem wir eine sichtbare Ebene am Rotorblatt aufspannen. Die Partikel, die sich am Rotorblatt bewegen, werden durch den Laser beleuchtet. Von diesen sichtbaren Partikeln machen die Kameras des PIV-Systems in kurzen Zeitabständen bis zu 10.000 Bilder pro Sekunde. Wenn wir die Bildsequenzen dann weiter auswerten, sehen wir die Umströmung des Rotorblattes.

Die Windströmung bewegt sich zunächst sich in gleichmäßiger Geschwindigkeit im Raum (rot). Direkt am Rotorblatt kann sie langsam werden (hellrot) oder abreißen (blau) und Turbulenzen (durch Pfeile dargestellt) bilden. Das Strömungsverhalten kann Einfluss auf die Drehgeschwindigkeit sowie das Material des Rotorblattes nehmen. Foto: Illustration zur Verfügung gestellt von Tom Wester/Turbumetric
Die Windströmung bewegt sich zunächst sich in gleichmäßiger Geschwindigkeit im Raum (rot). Direkt am Rotorblatt kann sie langsam werden (hellrot) oder abreißen (blau) und Turbulenzen (durch Pfeile dargestellt) bilden. Das Strömungsverhalten kann Einfluss auf die Drehgeschwindigkeit sowie das Material des Rotorblattes nehmen. Foto: Illustration zur Verfügung gestellt von Tom Wester/Turbumetric

FN: Und wie funktioniert die Photogrammtrie genau?

Simon Nietiedt (SN): Um die Rotorblattverformung nachzuvollziehen, erstellen wir 3D-Modelle der Rotorblätter. Dafür bauen wir vier Hochgeschwindigkeitskameras auf, die gleichzeitig Aufnahmen des Rotorblattes aus vier Perspektiven machen. Diese Bilder setzen sich zu dreidimensionalen Abbildungen, den so genannten Punktwolken, zusammen. Daraus können wir realitätsgerecht die Verformung des Rotorblattes im Wind ableiten. Hochgeschwindigkeitskameras brauchen wir deshalb, weil sich das Rotorblatt sehr schnell bewegt und weil wir mit Kameras berührungslos arbeiten können. Berührungen würden ja die Ergebnisse verändern. In unserem großen Versuch werden wir 200 bis 400 Bilder pro Sekunde aufnehmen. Die Menge an Daten brauchen wir, da sich die Modellwindanlage im großen Windkanal mit bis zu 480 Rotationen pro Minute dreht. An der Blattspitze haben wir Geschwindigkeiten von bis zu 160 Stundenkilometern.

FN: Wie interpretiert Ihr am Ende die Ergebnisse des Versuchs?

SN: Für die Interpretation der Interaktionen von Verformung und Windströmung wird ein gemeinsames Koordinatensystem benötigt. Dieses zu realisieren ist gar nicht so einfach, da beide Messsysteme – Photogrammetrie und PIV – mit unterschiedlichen Abbildungsmaßstäben arbeiten. Hier haben wir übrigens schon einen Meilenstein erreicht und konnten nach einem Vorversuch im kleinen Windkanal die Daten des Rotorblattes mit denen der Windströmung zusammenführen. Erst dadurch können wir die Daten zueinander in Verbindung setzen und gemeinsamen analysieren.

FN: Was macht euer Experiment besonders und vielleicht auch einzigartig?

Lars Kröger (LK): Schon die Größe des Windkanals in Kombination mit dem genutzten Turbulenzgitter ist weltweit einmalig. Eine besondere Schwierigkeit und Herausforderung ist dabei die Messung an den sehr schnell rotierenden Blättern der genutzten Modellwindkraftanlage. Die Messung der Aerodynamik und Verformungen geschieht in einem interdisziplinären und sehr aufwendigen Versuchsaufbau. Die genutzten Messsysteme, die Modellwindkraftanlage und die erzeugten Windfelder müssen dafür genauestens aufeinander eingestimmt werden. Das alles setzt eine einmalige Kombination aus Knowhow voraus und letztendlich einen beeindruckenden Einsatz von Equipment. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Interaktion von der Turbulenz mit der Turbine. Das Ganze findet in einem einzigartigen Windkanal statt, dessen Technologie unter anderem auf 15 Jahre Forschung am aktiven Gitter zurückgeht. Wir können gezielt Windturbulenzen erzeugen, die denen in der Atmosphäre ähneln und diese beliebig mit der Modellwindkraftanlage interagieren lassen. Alles in allem ist es ein Versuchsaufbau, den weltweit niemand aus dem Stehgreif aufbauen könnte.

FN: Das klingt, als hättet Ihr alles im Griff. Kann das Experiment überhaupt schiefgehen?

TW: Ja, denn wie Lars sagt, ist der Aufbau sehr komplex. Da kann immer etwas schiefgehen. Die Rotorblätter beispielsweise sind nur für dieses Experiment hergestellt worden. Was diese Blätter betrifft, betreten wir komplettes Neuland. Sie bestehen im Inneren aus einer Art Schaumstoff und sind deshalb flexibler und verformbarer als die alten Blätter. Da die neuen Rotorblätter für unser Experiment erst an die Modellwindkraftanlage montiert werden, wissen wir nicht, ob die Messungen funktionieren werden wie sie sollen. Ob die Anlage auf die Rotorblätter so reagiert, wie wir uns das vorstellen. Das Problem sind dann zum Beispiel Resonanzfrequenzen. In bestimmten Situationen könnte sich das System aufschaukeln. Diese Dinge kann man theoretisch durchrechnen. Die Ingenieure im Windkanal haben hier auch eine tolle Arbeit geleistet und Tools entwickelt, um das zu tun. Wie sich die einzelnen Komponenten dann in der Realität verhalten, ist aber eine ganz andere Frage. Da gibt es Unsicherheiten, die wir momentan nur abschätzen können.

Im Großen und Ganzen haben wir aber die experimentellen Probleme unter Kontrolle. Und trotz aller unvorhersehbaren Punkte gehen wir mit einem positiven Gefühl in die Messkampagne. Denn wir haben das experimentelle Wissen, das die Kollegen der Jade Hochschule und wir von ForWind (Zentrum für Energieforschung) mitbringen. Da sind wir, glaube ich, sehr gut aufgestellt. Wir haben Leute, die seit Jahren mit diesen Methoden arbeiten und, wenn Probleme auftreten, schnell auf diese reagieren können. Auch die aktive-Gitter-Forschung läuft seit vielen Jahren. Erfahrung kann viele Aspekte auffangen. Es sind nur noch kleine Stellparameter, die neu dazu kommen und die wir nicht testen konnten.

Im Nachgang geht es natürlich um die Interpretation der Messergebnisse selbst. Wir freuen uns, dass der Versuch bald losgeht, und sind sehr gespannt auf die Ergebnisse. Soweit ich weiß ist es eines der ersten Experimente weltweit, das in dieser Weise durchgeführt wird. Die Messverfahren, die wir erproben, stehen nach dem Experiment der Forschung zur Verfügung.

FN: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg!

Zum Team des Projekts TurbuMetric:

Foto: Hendrik Heißelmann
Foto: Hendrik Heißelmann

Zum Team von TurbuMetric gehören (v.l.) Lars Kröger, Apostolos Langidis, Martina Göring, Simon Nietiedt, Tom Wester und Robin Rofallski (nicht im Bild).

Betreut wird das Projekt von Professor Dr. Thomas Luhmann (Projektleiter, Jade Hochschule) und Dr. Gerd Gülker (Teil-Projektleiter, ForWind).

Ein paar Worte noch zu meinen Gesprächspartnern:

Lars Kröger und Tom Wester sind Doktoranden am Institut der Physik der Universität Oldenburg. Tom erforscht dynamische Effekte in der Aerodynamik. Lars‘ Forschungsschwerpunkt liegt auf der Erzeugung turbulenter Strömungen mit dem aktiven Gitter und deren Interaktion mit Versuchsobjekten, wie zum Beispiel der Modellturbine. Im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeiten wenden beide hochaufgelöste optische Strömungsmessverfahren an.

Simon Nietiedt studierte Geodäsie und Geoinformatik und ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Angewandte Photogrammetrie (IAPG) der Jade Hochschule. Sein Forschungsbereich ist die Nahbereichsphotogrammetrie mit dem Schwerpunkt dynamische 3D-Messtechnik.

Über die Innovative Hochschule Jade-Oldenburg!

Die Innovative Hochschule Jade-Oldenburg! wurde als Transferprojekt der Universität Oldenburg, der Jade Hochschule und des Informatikinstituts OFFIS, An-Institut der Universität, im Projektzeitraum 2018 bis 2022 mit rund elf Millionen Euro durch die Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule“ gefördert.

Das Projekt hat innovative Ideen, Hochschulwissen und neue Technologien in die Zielregion getragen und den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben, Wissenschaft aktiv mitzuerleben. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor_innen.
 

Ein Beitrag von:

  • Yukie Yasui
    Yukie Yasui

    yukie.yasui@jade-hs.de