Wenn Windenergie das Wetterradar stört: Forschung an der Nordseeküste
ForschungsNotizen der "Innovativen Hochschule Jade-Oldenburg!"
Karsten Schubert ist mit einem selbst entwickelten Radargerät unterwegs in Niedersachsen. Viele hundert Kilometer fährt der Doktorand mit dem Auto und Anhänger übers Land, um mit der 200 Kilogramm schweren Ausrüstung Messungen in der Nähe von Windenergieanlagen vorzunehmen. Viele Stellen besucht er mehrfach bei möglichst unterschiedlichen Witterungsbedingungen – denn Schubert misst die Störwirkungen der Windenergieanlagen bei verschiedenen Wetterlagen auf das Radar. Dabei spielen nicht nur das Wetter und die Beschaffenheit der Anlage eine Rolle, sondern auch deren Umgebungsbedingungen, seien es Gebäude, Bäume, Gewässer, oder auch die ein oder andere Anhöhe oder Niederung.
Forschungsziel: ein Vorhersagemodell für Störwirkungen von Windenergieanlagen
Es sind jede Menge Messdaten realer Anlagen, die Schubert mit dem Radar misst. Anhand dieser Daten möchte er ein Modell entwickeln, mit dessen Hilfe sich die Störwirkungen der Windenergieanlagen auf Radare vorhersagen lassen, vorrangig die Radare des Deutschen Wetterdienstes (DWD).
Der DWD hat die hoheitliche Aufgabe und die Pflicht, im Bundesgebiet Wetterphänomene flächendeckend zu erfassen um möglichst zuverlässige Wettervorhersagen zu erstellen. Um seiner Pflicht nachzukommen, betreibt der DWD im Bundesgebiet 17 Wetterradarstationen mit einer jeweiligen Reichweite von 150 Kilometern. Zugleich besitzt der DWD ein Mitspracherecht bei den Genehmigungsverfahren neuer Windenergieanlagen. Hintergrund: Windenergieanlagen können durch Abschattungen und Reflektionen die Messwerte der Wetterradare beeinflussen und stören. Störungen des Wetterradars könnten dazu führen, dass lokale Wetterphänomene falsch oder gar nicht erfasst werden. Beispielsweise für die Luftfahrt ist eine zuverlässige Wettervorhersage essenziell, um Risiken einzuschätzen und auf diese Weise Unfälle oder gar Abstürze nach Möglichkeit zu verhindern. Um also das Risiko von Störungen der Wetterradare durch Windenergieanlagen zu verringern, hat der DWD Schutzabstände definiert, die bei der Inbetriebnahme von Windenergieanlagen gegenüber den Wetterradaren einzuhalten sind.
Bislang fehlt dem DWD ein zuverlässiges Vorhersagemodell für Störungen durch Windenergieanlagen, das es erlauben würde, diese in der Nähe von Radarstationen des DWD in Betrieb zu nehmen. Ein Vorhersagemodell ist deshalb so interessant, weil die nutzbaren Flächen für Windenergieanlagen sehr begrenzt sind. Zudem wird im Rahmen der Energiewende der Ausbau der Windenergie forciert. Wenn es Schubert also gelingt, ein zuverlässiges Modell zu entwickeln, könnten auf dessen Basis möglicherweise mehr geeignete Flächen für Windanlagen identifiziert und genutzt werden, als bislang der Fall ist.
Welchen Vorteil hat Forschung anhand von Messdaten realer Anlagen?
„Im Wesentlichen gibt es drei Methodiken, solch ein Vorhersagemodell zu entwickeln.“, erklärt Schubert. „Häufig werden Simulationen durchgeführt, meist jedoch unter Verwendung stark vereinfachender Modelle. Eine weitere Methode ist die Miniaturisierung. Dabei werden stark verkleinerte Modelle in Messkammern analysiert. Der dritte am seltensten beschrittene Weg ist die Modellbildung basierend auf Messdaten realer Anlagen. Zwar ist diese Methode die aufwändigste und teuerste, aber sie liefert eine genaue und somit die beste Grundlage, um ein zuverlässiges und exaktes Vorhersagemodell ableiten zu können.“
Forschung mit selbst entwickelter Hardware
Der Aufwand, die Daten im Feld zu erheben, ist groß, insbesondere für eine einzelne Person, zumal auch die notwendige Ausrüstung nicht fertig zu kaufen ist. Über einen Zeitraum von rund zwei Jahren hat Schubert die Messhardware entwickelt und die zugehörige Infrastruktur bestehend aus Transportfahrzeug, Stromversorgung und Datennetzwerken aufgebaut. Viele Wochen dauerte die Recherche für die Konzipierung des Geräts im Vorfeld der eigentlichen Konstruktion. „Ich wusste nicht genau, wie lange es dauern würde, bis das Radargerät fertig ist. Es kommt ja immer wieder etwas Ungeplantes dazwischen wie zum Beispiel lange Lieferzeiten bestimmter Teile. Oder ich stoße auf ein technisches Problem, dem ich mit viel Recherche und verschiedenen Lösungswegen erst einmal auf den Grund gehen muss“, berichtet Schubert.
Um die Daten zu erheben, hat Schubert als Minimalausrüstung ein Radargerät, unterschiedlich große Antennen, einen Laptop und einen so genannten Tripelspiegel dabei. Stellt er das Radar auf eine Windenergieanlage ein, misst es die Stärke des Echos, das die Anlage verursacht, das heißt die so genannte Reflektion. Schubert zeichnet die geographische Position des Messaufbaus (GPS), den genauen Zeitpunkt, die exakte Antennenausrichtung sowie Geländeeigenschaften über Fotos auf, um deren Einfluss auf das Echo zu kontrollieren und die Reproduzierbarkeit (beliebige Wiederholbarkeit) der Messungen zu gewährleisten.
Um eine absolute Aussage über die Stärke der Reflektion einer Windenergieanlage treffen zu können, ist außerdem eine Vergleichsmessung mit einem Referenzobjekt erforderlich, dessen Reflektionsverhalten bereits im Vorfeld bekannt ist. Der Vergleich zwischen der Referenzmessung und der Messung an der Windenergieanlage ermöglicht es, die absolute Stärke der Reflektion einer Windenergieanlage zu bestimmen. Diese Vergleichsmessung wird als Kalibrierung bezeichnet und anhand des Tripelspiegels durchgeführt.
Messdaten interpretieren
Das Wasserfalldiagramm, das Karsten Schubert aufgezeichnet hat, zeigt das zeitliche Reflektionsverhalten einer Windenergieanlage. Auf der Y-Achse ist die Zeit in Sekunden aufgetragen, auf der X-Achse die Entfernung in Kilometern. Der Farbton repräsentiert die Stärke des Radarechos. So bedeutet ein tief blauer Farbton keine bzw. eine extrem schwache Reflektion während ein Tief roter Farbton einer extrem starken Reflektion entspricht.
Bei der abgebildeten Messung wurde eine Windenergieanlage aus einer Entfernung von etwa 1,7 km vermessen. Bei der Auswertung sind vor allem die „sinusförmigen Bögen“, welche im Wasserfalldiagramm sichtbar sind, von Interesse. In diesen Bögen stecken Informationen über das Reflektionsverhalten der Rotorblätter und deren Bewegungen, die maßgeblich für die Störungen der Wetterradare verantwortlich sind.
Vom Mechatronik-Azubi zum Doktoranden
Trotz der Aufwände und Unvorhersehbarkeiten für seine Doktorarbeit wirkt der junge Ingenieur zufrieden. „Es macht auch Spaß, meine Vorkenntnisse nutzen zu können und sie zu kombinieren“, sagt Schubert. In seiner Mechatronik-Ausbildung habe er Erfahrung mit dem Bau elektrotechnischer Anlagen gesammelt. Im Studium habe er das Wissen erworben das er braucht, um die notwendigen Geräte zu konzipieren und deren Daten auszuwerten. Und nicht zuletzt sei es sein Vater, dem er seine Neugier und die Freude am Entwickeln technischer Geräte verdanke. Der habe ihn früh an kindgerechte technische Aufgaben herangeführt und das Interesse in ihm geweckt, sich in technischen Fragen auszuprobieren und Herausforderungen anzugehen.
„Wer forscht, macht zwangsläufig Fehler“
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für seine Aufgabe ist für Schubert die „richtige“ Haltung. Er betont: „Man muss die Furcht vor Fehlern ablegen. Wer forscht, macht zwangsläufig Fehler. Dadurch darf man sich nicht entmutigen lassen. Wenn ein Lösungsweg nicht funktioniert, muss man einen neuen finden und ausprobieren.“
Über Karsten Schubert
Karsten Schubert promoviert im Rahmen des Projektes „Wechselwirkung Windenergieanlagen und terrestrische Navigation“ (WERAN) unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Jens Werner und wird im Rahmen des Promotionsförderungs-Programms Jade2Pro der Jade Hochschule gefördert. Schuberts Doktorvater ist Dr.-Ing. habil. Thomas Kleine-Ostmann von der Technischen Universität Braunschweig, an der Schubert sein Masterstudium absolvierte.
Über die Innovative Hochschule Jade-Oldenburg!
Die Innovative Hochschule Jade-Oldenburg! wurde als Transferprojekt der Universität Oldenburg, der Jade Hochschule und des Informatikinstituts OFFIS, An-Institut der Universität, im Projektzeitraum 2018 bis 2022 mit rund elf Millionen Euro durch die Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule“ gefördert.
Das Projekt hat innovative Ideen, Hochschulwissen und neue Technologien in die Zielregion getragen und den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben, Wissenschaft aktiv mitzuerleben. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor_innen.