| Präsidialbüro

„Alle Meerestechnik-Studierenden sollen das Wattenmeer von oben sehen“

Ein energieeffizienter Motorsegler zählt seit Kurzem zum Inventar der Jade Hochschule. Zwei Außenlastbehälter, in denen die bis zu 100 Kilogramm schweren Sensoren untergebracht sind, ermöglichen es den Forscher_innen, Messungen direkt aus der Luft vorzunehmen. Ausgerüstet ist der Flieger darüber hinaus auch mit verschiedenen Kamerasystemen. So können zum Beispiel mit einer Wärmebildkamera großflächig Temperaturen am Boden gemessen werden.

Forschungsflugzeug
Martin Kumm (li; Student Mechatronik) und Prof. Dr. Jens Wellhausen freuen sich darauf, das Forschungsflugzeug der Jade Hochschule einzusetzen. Foto: Jade Hochschule

Forschungs­flugzeug über unseren Köpfen

Im März 2019 hat die Jade Hochschule ein Forschungsflugzeug erworben – einen Touring Motor Glider (TMG) des Typs HK36 TTC ECO vom österreichischen Hersteller Diamond Aircraft. Das Flugzeug kann verschiedene Forschungsvorhaben, zum Beispiel in der Meeresforschung oder der Biologie, mit der Datenerfassung aus der Luft unterstützen. Prof. Dr.-Ing. Jens Wellhausen vom Fachbereich Ingenieurwissenschaften der Jade Hochschule hat die Anschaffung maßgeblich vorbereitet und ist verantwortlich für die Konzeption und den Einbau der Forschungsinstrumente. Es wird zum einen eine Basis-Messtechnik eingesetzt, zum anderen wird die Ausstattung kompatibel gemacht für die Messtechnik von Forschenden aus diversen wissenschaftlichen Disziplinen, die ihre eigenen Geräte im Flugzeug einsetzen möchten.

Die Spannweite des Flugzeugs ist mit 16,30 Metern typisch für einen Motorsegler. Unterhalb der Tragflächen sind die zertifizierten Außenbehälter angebracht, die die Messtechnik transportieren werden. Foto: Jade Hochschule
Die Spannweite des Flugzeugs ist mit 16,30 Metern typisch für einen Motorsegler. Unterhalb der Tragflächen sind die zertifizierten Außenbehälter angebracht, die die Messtechnik transportieren werden. Foto: Jade Hochschule

„Unsere Messtechnik wird von den beiden Außenlastbehältern aufgenommen", erklärt Professor Wellhausen. "Sie dürfen jeweils 55 kg wiegen und können ein ganzes Set von Kameras und weitere Messgeräte transportieren." Aufgrund seines Außenmaterials – kohlefaserverstärkter Kunststoff – verfügt das Flugzeug über wenig Widerstand. Es fliegt energieeffizient und leise und kann bis zur rechtlich zulässigen Höhe von bis zu 10.000 Fuß (ca. 3.000 Meter) fliegen. Bis zu dieser Höhe muss die Besatzung keinen zusätzlichen Sauerstoff mitnehmen. Geplant ist der Einsatz aber eher in niedrigeren Flughöhen, auch über dem Wattenmeer und der Nordsee – das ist, sagt Wellhausen, zum Beispiel für die Meeresforschung der Universität Oldenburg sehr interessant, mit der eine enge Zusammenarbeite besteht.

In der Meerestechnik können Aufnahmen aus der Luft beispielsweise Aufschluss über die Beschaffenheit des Wattenmeers oder großer Wasserflächen liefern. Diese Daten sollen Untersuchungen unterstützen, die am Boden oder im Wasser mit anderen Geräten oder vom Schiff aus durchgeführt werden. 

Orthofotos – Forschungsbilder aus der Luft

Wie sehen eigentlich die Bilder aus, die wissenschaftliche Aussagen über den Boden oder die Meeresoberfläche erlauben? Pascal Janßen, Masterstudent der Elektrotechnik, erklärt: „Welche Kamera auch immer wir verwenden – wir überfliegen das Areal, von dem wir Aufnahmen machen möchten, sehr engmaschig und nehmen dabei viele Fotos auf, die sich gegenseitig überlappen. Mithilfe von GPS-Empfängern und Lagesensoren können diese Aufnahmen georeferenziert erstellt werden. Zum Schluss werden alle Bilder zu einem digitalen Geländemodell zusammengesetzt. Aus diesem Modell kann wiederum ein Orthofoto erstellt werden, dieses ist dann georeferenziert, verzerrungsfrei und maßstabsgetreu. Seine Informationen entsprechen exakt den tatsächlichen Gegebenheiten und lassen sich deshalb wissenschaftlich auswerten.“ Die Herkunft des Begriffs ortho, vom griechischen orthós für gerade oder aufrecht, beschreibt die Entstehung der Einzelfotos, die senkrecht aus der Luft aufgenommen werden.

Dieses Orthofoto wurde mit Aufnahmen aus dem neuen Forschungsflugzeug erstellt. Es zeigt die Jade Hochschule am Studienort Wilhelmshaven. Foto: Jade Hochschule
Dieses Orthofoto wurde mit Aufnahmen aus dem neuen Forschungsflugzeug erstellt. Es zeigt die Jade Hochschule am Studienort Wilhelmshaven. Foto: Jade Hochschule
Die Flugroute des Forschungsflugzeugs wird im Vorfeld jedes Fluges so berechnet, dass von jedem Punkt im gewünschten Areal mehrere Fotos mit überlappenden Ausschnitten gemacht werden können. Der Pilot fliegt mit dem Forschungsflugzeug diese Flugroute genau ab – keine triviale Aufgabe. Foto: Jade Hochschule
Die Flugroute des Forschungsflugzeugs wird im Vorfeld jedes Fluges so berechnet, dass von jedem Punkt im gewünschten Areal mehrere Fotos mit überlappenden Ausschnitten gemacht werden können. Der Pilot fliegt mit dem Forschungsflugzeug diese Flugroute genau ab – keine triviale Aufgabe. Foto: Jade Hochschule

Kamerasysteme für den Einsatz in der Meeresforschung und weiteren wissenschaftlichen Disziplinen

Janßen, der im Rahmen seiner Masterarbeit das Kamerasystem in das Flugzeug baut, erklärt: "Das System besteht aus einer langwelligen Infrarotkamera (Wärmebildkamera), die Temperaturunterschiede visuell darstellt, einer 'normalen' RGB (Rot-Grün-Blau)-Kamera, deren Aufnahmen den Bildern des menschlichen Auges entsprechen, sowie einer Nahinfrarotkamera, deren Aufnahmen in Graustufenbilder umgewandelt werden." Von solchen Graustufenbildern lässt sich beispielsweise der Gesundheitszustand von Pflanzen ablesen. Um diesen zu interpretieren, müsste man natürlich vom Fach sein, ergänzt Janßen. Ebenso wird eine vierte Kamera, eine so genannte SWIR (Short-Wave-Infrared)-Kamera integriert, die im kurzwelligen Infrarotbereich empfindlich ist, um den Forschenden ein breitbandiges multispektrales Fernerkundungssystem bereit zu stellen.

Die Messtechnik sowie Teile der technischen Infrastruktur des Forschungsflugzeugs werden in zwei Außenlastbehältern transportiert. Foto: Jade Hochschule
Die Messtechnik sowie Teile der technischen Infrastruktur des Forschungsflugzeugs werden in zwei Außenlastbehältern transportiert. Foto: Jade Hochschule

Technische Infrastruktur 

Sind die Daten einmal durch die Kameras aus der Luft erfasst, müssen sie sicher übertragen, verarbeitet und gespeichert werden. Janßens Kommilitone Martin Kumm, Student der Mechatronik, arbeitet zurzeit im Rahmen seiner Bachelorarbeit an der technischen Infrastruktur für das Flugzeug. Er konzipiert ein Rechnersystem für die Datenverarbeitung und Verwaltung von Messdaten (Bilder, Höhen- und Lagedaten), sorgt für die Technik der Datenübertragung zwischen den einzelnen Forschungsgeräten und stellt eine zuverlässige Spannungsversorgung für die anzuschließende Messtechnik sicher.

Obwohl das Flugzeug Spannweite eher klein ist, eignet es sich perfekt für die Forschungsausrüstung: Da der Tank sich in den Tragflächen befindet, bleibt im Rumpf ausreichend Platz für weiteres Messequipment. Die Einstellung der Sensoren und die Bedienung der Computersysteme erfolgt über den oben genannten Monitor im Cockpit. Hier hat der/die mitfliegende Forschende jederzeit Einblick in die erhobenen Daten und kann nötigenfalls in die Datenerhebung eingreifen. In den Außenlastbehältern unterhalb der Tragflächen installiert Kumm Dockingstationen, welche während des Flugs die aufgezeichneten Daten an den Rechner übertragen.

Außerdem ist Kumm für den Bau eines Systemzwillings im Labor verantwortlich. Dieses exakte Duplikat der Infrastruktur im Flugzeug ist deswegen so wichtig, weil damit weitere Messgeräte effizient für den Einsatz im Flugzeug getestet werden können. Zusätzlich können Forschende, die zum ersten Mal mit dem Forschungsflugzeug Daten erheben, die Steuerung der Infrastruktur im Flugzeug erlernen. Somit schafft Kumm eine effiziente kostengünstige Test- und Schulungsumgebung, durch die teure Testflugstunden entfallen.

Wie geht es weiter? – Jungfernflug im Juni

Für das Projekt „Wechselwirkung zwischen Windenergieanlagen und Navigationssystemen Plus“ (WERAN Plus) der Jade Hochschule wird derzeit weitere Messtechnik konzipiert und in einen der Außenlastbehälter des Flugzeugs installiert. Der erste Testflug in diesem Rahmen ist im Juni 2019 geplant.

Prof. Dr.-Ing. Jens Wellhausen (Mitte) mit Pascal Janßen (links) und Martin Kumm auf dem Flugplatz in Mariensiel. Foto: Jade Hochschule
Prof. Dr.-Ing. Jens Wellhausen (Mitte) mit Pascal Janßen (links) und Martin Kumm auf dem Flugplatz in Mariensiel. Foto: Jade Hochschule

Über die Innovative Hochschule Jade-Oldenburg!

Die Innovative Hochschule Jade-Oldenburg! wurde als Transferprojekt der Universität Oldenburg, der Jade Hochschule und des Informatikinstituts OFFIS, An-Institut der Universität, im Projektzeitraum 2018 bis 2022 mit rund elf Millionen Euro durch die Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule“ gefördert.

Das Projekt hat innovative Ideen, Hochschulwissen und neue Technologien in die Zielregion getragen und den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben, Wissenschaft aktiv mitzuerleben. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor_innen.
 

Das Flugzeug wird eingesetzt, um zu den Themen Klimawandel, Küstenschutz und steigender Meeresspiegel Aufschluss geben zu können. Die Forscher setzen sich insbesondere mit der Frage auseinander, wie sich die norddeutsche Küste verändert. Aus der Luft sollen deshalb Aufnahmen gemacht werden, um diese Veränderungen sichtbar zu machen. Der zweisitzige Motorsegler hat eine Spannweite von 16 Metern. Mit einer Reichweite von 1.000 Kilometern und einer Flugdauer von sechs Stunden haben ein_e Pilot_in und ein_e Wissenschaftler_in ausreichend Zeit, um umfangreiche Erkenntnisse zu gewinnen.

Ein Beitrag von:

  • Yukie Yasui
    Yukie Yasui

    yukie.yasui@jade-hs.de