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Dekan Prof. Jens Peter Thiessen im Gespräch

Neben dem alltäglichen Schwarzbrot besonders „Brückenprojekte“ fördern

Prof. Jens Peter Thiessen ist neuer Dekan des Fachbereichs Architektur. Er wurde 2003 auf eine Professur für „Entwerfen und Angewandte Informatik“ an die Jade Hochschule berufen und war langjährig als Studiendekan und Mitglied im Senat tätig. Vor seiner Berufung arbeitete er als selbstständiger Architekt, als Projektleiter für den deutschen Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig sowie in Architekturbüros in London und Japan. Die Redaktion der Jade Welt (JW) fragt nach den Herausforderungen und Plänen für die nächsten Jahre...

JW: Lieber Herr Thiessen, welche Schwerpunkte möchten Sie als Dekan setzen?

Thiessen: Architektur ist ja eine Mischung aus Künstlerischem und Technischem; selten klar, manchmal radikal, aber immer auch Kompromiss. Diese Welten müssen zusammengebracht werden, sonst entsteht gar nichts. Und so verschieden, wie das Kollegium an unseren Fachbereich ist, so verschieden sind auch die Kompromisse.

Nicht immer gelingt es uns, die Meinung der anderen zu verstehen oder zu akzeptieren. Natürlich ist es wichtig, eine Meinung zu haben und dafür zu kämpfen, andererseits sind andere Meinungen vielleicht manchmal sogar richtiger als die eigenen. „Sagen was man denkt und vorher was gedacht haben“ (Harry Rowohlt). Unsere Studierenden müssen eine Meinung – eine Haltung entwickeln und für das einstehen, was sie tun. Aber sie müssen auch lernen, andere Haltungen zu verstehen und diese mindestens zu tolerieren. Wir Lehrenden sollten das vorleben, was nicht immer einfach ist.

Hier möchte ich ansetzen: Neben dem alltäglichen Schwarzbrot möchte ich „Brückenprojekte“ fördern, so viele wie möglich: Kooperationen mit unseren Fachbereichen und Hochschulen in aller Welt, vorzugsweise Europa, mit unseren Museen, mit der Stadt und mit den politischen Kräften. Dieser Transfer, dieses kritische Vergleichen #machenwirallesrichtig? bereichert, bildet, macht offen, tolerant und nicht zu vergessen auch ganz viel Spaß. Und unsere Hochschule bietet an so vielen Stellen Unterstützung, die ich gerne anfordern möchte, insbesondere vom Akademischen Auslandsamt.

Prof. Jens Peter Thiessen (Foto: Andreas Rothaus/Jade HS)
Prof. Jens Peter Thiessen (Foto: Andreas Rothaus/Jade HS)

Persönliches

Eigentlich wollte ich zu zunächst Geige und danach erst Architektur studieren. Der Wehrdienst, obwohl im Musikkorps, hat mich damals vollkommen ausgebremst. Und ich denke, dass es auch nicht wirklich gereicht hätte. Ähnlich ging es mir mit Handball in Flensburg. Das spiele ich nicht mehr, aber ich liebe klassische Musik nach wie vor.

Musik und Architektur haben etwas gemeinsam: Komposition, Proportion, Harmonie, Rhythmus, Ästhetik oder Anmutung; und das mit dem ÜBEN natürlich. Wer übt, kann und muss lernen, Kritik auszuhalten; es ist gut, sich selbst einschätzen zu lernen.

Mein Vater und Großvater waren auch beide Architekten – unser Haus war und ist voller Zeichnungen, Skizzen, die Lampen sind dänische Klassiker. So bin ich in aufgewachsen – vom Esszimmer kann man die Ostsee sehen und meine Schule heißt tatsächlich „Fördegymnasium Flensburg“. Dann Wehrdienst, Studium, Tätigkeiten irgendwo auf der Welt, Büro in Hannover und schließlich Oldenburg, aber das kann man woanders genauer lesen.

18 Jahre war ich in Hannover Kirchenvorsteher in einem Kirchenvorstand. Eine für mich bedeutende Zeit des christlichen, kulturellen, musikalischen und vor allem persönlichen Austausches und vieler Freundschaften. Musik in der Kirche ist das Größte und Johann Sebastian Bach mein Lieblingskomponist. Einige Jahre war ich zudem Vorsitzender eines Vereins zur Förderung und Erhalt der synagogalen Musik, wieder interessante Schnittmengen: Jüdische und christliche Musik haben vielfältige manchmal überraschende Gemeinsamkeiten und wir kennen so wenig davon – wie Salomon Sulzer oder Louis Lewandowski.

Meine Frau ist auch Architektin, aber keiner unserer drei Söhne macht Architektur, es wäre die 4. Generation! Sie bauen lieber Maschinen, „beschreiben“ die Welt und suchen im Ausland nach Quanten und das ist auch gut.

Prof. Jens Peter Thiessen

JW: Welche Herausforderungen sehen Sie in den nächsten drei Jahren auf Ihren Fachbereich zukommen?

Thiessen: Die erste Herausforderung ist mein größter Wunsch für alle zugleich: Nach der Pandemie die Normalität wiederzufinden, gesund zu sein und all das achtsamer zu schätzen, was früher „nur“ unser Alltag war. Aber es gilt auch, das Gute zu behalten, was sich durch diesem „coronalen“ Innovationsfußtritt entwickelt hat.

Ein neuer Studiengang: Auch, wenn es für alle anderen Fachbereiche keine Besonderheit ist, wir wollen einen neuen Bachelor-Studiengang einführen und uns breiter aufstellen. Der Neue hat noch keinen richtigen Namen – sollte mal „Urban Design“ heißen, aber die Eltern diskutieren noch. Wenn es gut läuft, dann ist auch der Masterstudiengang schon in der Schublade. Architektur und Städtebau, die sich gegenseitig bereichern werden, was Hoffnungen auf Synergien und auf noch mehr „Brückenprojekte“ macht. Und damit es später noch erfolgreicher läuft, planen wir die Einführung einer Eignungsprüfung zum Studieneinstieg.

Die letzten Jahre waren durch viele Programme wie Hochschulpakt, Studienqualitätsmittel, Fachtutorien finanziell unproblematisch. Die Herausforderung mit dem jetzt enger werdenden Gürtel kommt auf leisen Pfoten und ist doch schon schmerzhaft. Die neuen Dämonen heißen unter anderem „Globale Minderausgabe“ und „leistungsorientierte Mittelvergabe“. Sie stiften schon Unruhe und wir müssen dieser Herausforderung mit klaren und gerechten Konzepten begegnen.

Die vielleicht größte Herausforderung ist aber der Umgang mit unserer Umwelt und dem Klima. Gerade im Bau kann besonders effektiv und nachhaltig gehandelt werden. „REDUCE, REUSE, RECYCLE“ und „Cradle to Cradle“ sind heute Eckpfeiler nachhaltiger Planung. Energie und Mobilität und Biodiversität, hier poltern die Herausforderungen unüberhörbar und nicht nur freitags.

Welchen Beitrag leisten wir Fachbereiche dazu? Welchen Anteil hat die Architektur als gebaute aber verbrauchende Umwelt? Welche Verantwortung haben wir schon - und welche müssen wir uns nehmen? Hier sollten wir forschen und beraten und auch mal etwas wagen. Unsere Städte werden sich stetig verändern, aber wer wird das lenken? Wo sind die Ratgeber und Vorbilder? Wenn es von alleine passiert, ungesteuert, ungewollt, dann werden wir hier irgendwann die Nachteile des Stadtlebens mit den Nachteilen des Landlebens kombiniert haben.

JW: Was wünschen Sie sich für Ihre Amtszeit?

Thiessen: Nicht nur für mich, sondern für alle wünsche ich mir die Normalität zurück: volle Seminarräume, Kaffee in der Infothek, den Klönschnack in der Mensaschlange, die Partys, das gemeinsame Feiern und irgendwann keine QR Codes mehr an den Türen. Videokonferenzen in Maßen können wir gerne beibehalten, damit wir umso mehr die Livekontakte schätzen werden.

Seit einem Jahr planen wir an dem neuen Werkstattgebäude auf dem Campus Oldenburg, konzipiert als BIM-Testobjekt und als energetisches Experimentier- und Forschungsgebäude. Das macht Spaß und ist so motivierend, dass ich schon ganz ungeduldig bin. Das Team ist gut und dieses neue Gebäude soll vielfache Brücken bauen können. Ich wünsche mir, dass es vorwärts geht und wir Richtfest und Einweihung feiern können innerhalb dieser Amtszeit.

In dem Zuge möchte ich mit der Hochschule und der Stadt über die Mobilität nachdenken und Veränderungen vorschlagen – zum Beispiel den „autofreien Campus Oldenburg“. Das mit dem Auto ist zwar eine „heilige Kuh“, aber manche Komfortzonen müssen wir verlassen und wenn nicht die öffentlichen Institutionen anfangen, wer denn dann.

Wo sind zum Beispiel unsere E-Tankstellen, Fahrradstationen oder Blockheizkraftwerk? Wo ist die Kooperation mit der Stadt und dem Rat und dem Energieversorger und dem Car-Sharing? Oldenburg ist flach und nicht groß, der ÖPNV gut ausgebaut, müssen wir dennoch mit dem Verbrenner zur Hochschule kommen?

Ein Teil unserer Arbeit wird das Werben um neue Studierende sein. Hier wird schon umgedacht: die Informationskanäle der potentiellen Studienanfänger_innen haben sich radikal geändert. Was viele Unternehmen aktuell erfahren ist, dass die sozialen Medien eine nie gekannte Reichweite haben und extrem multiplikatorische Wirkung. Ich wünsche mir die Lebendigkeit auf diesen Kanälen, die wir (ohne Corona) in den Fachbereichen haben, auch wenn wir dann mit Sea Shanties und Fashion Hauls konkurrieren müssen.

Nutzen wir dazu unser Know How und unsere Technik. Und was wir selbst nicht können, holen wir uns dazu. Das Teilprojekt 1 der Innovativen Hochschule Jade-Oldenburg ist so ein Instrument: Thema Schülerwissen. Hier können wir Verbindungen von Schule und Hochschule entwickeln, wie das in anderen Ländern oft schon erfolgreich praktiziert wird, Synergien schaffen, didaktisch profitieren und auch „Nachwuchs“ akquirieren. 

Ich wünsche mir, dass nach drei Jahren viele Projekte von der Wunschliste gestrichen werden konnten und wir sagen werden: gut, dass wir das damals angefangen hatten und nicht den Alltag haben alles beherrschen lassen. „Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch!“ schreibt Karl Valentin. Vielleicht ist das mit dem Alltag, mit dem Schwarzbrot auch so. Es wird ihn/es geben, ob wir uns freuen oder nicht, aber mit Freuen fällt es leichter. Danke Karl Konfuzius!

Ansprechpartnerin in der Redaktion

  • Katrin Keller
    Katrin Keller

    katrin.keller@jade-hs.de