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Der Mensch als Risikofaktor in der Verkehrssicherheit?

Neuberufung: Prof. Dr. Georgios Athanassiou im Gespräch

Dr. Georgios Athanassiou wurde jetzt auf eine Professur für Mensch-Maschine-Interaktion in autonomen Schiffsführungssystemen und quantitative Methoden an die Jade Hochschule berufen. Er lehrt und forscht künftig am Fachbereich Seefahrt und Logistik am Campus Elsfleth. Die Jade Welt (JW) fragt nach…

JW: Lieber Herr Athanassiou, was hat Sie zum Wechsel an die Jade Hochschule bewogen?

Athanassiou: Eine Professur bot mir die Möglichkeit, meine Forschung und Lehre in der Seefahrt und dem erweiterten maritimen Arbeitskontext zu fokussieren. Ich kenne den Fachbereich Seefahrt und Logistik der Jade Hochschule ziemlich gut, denn ich habe die Daten im Rahmen meiner Dissertation im Schiffführungssimulator in Elsfleth erhoben und war von 2017 bis letztes Jahr Lehrbeauftragter in den Studiengängen Nautik und Seeverkehr und Schiffs- und Hafenbetrieb. Es gibt hier exzellente Bedingungen für Lehrende und Studierende. Zusätzlich sticht der Fachbereich durch eine sehr positive Grundeinstellung zur Interdisziplinarität in Forschung und Lehre heraus.

Prof. Dr. Georgios Athanassiou (Foto: privat)
Prof. Dr. Georgios Athanassiou (Foto: privat)

Es war für mich quasi ein Imperativ, mich für die ausgeschriebene Professur zu bewerben. Als ich den Ruf bekommen habe, habe ich es mir nicht zweimal überlegt, denn ich sah darin die Erfüllung eines wichtigen Lebensziels.

Dazu kommt, dass ich eine emotionale Bindung zur Gegend habe. Ich habe nämlich in Oldenburg studiert und das war meine allererste Station in Deutschland. Ich habe mich hier sofort willkommen gefühlt und Oldenburg, Bremen und die ganze Umgebung sowie die Offenheit und Gelassenheit der Menschen ins Herz geschlossen. Ich habe nach dem Studium anderswo in Deutschland gearbeitet und gelebt, die erste Liebe vergisst man jedoch nicht, wie man sagt.

Es fühlt sich also für mich wie eine Rückkehr in den Heimathafen an.

Und es ist für mich als gebürtiger Grieche wichtig, das Meer in der Nähe zu wissen.

JW: Mit welchen Erwartungen und Vorstellungen treten Sie die Professur an?

Athanassiou: Ich verstehe meine Arbeit in Lehre und Forschung durchaus als ein interdisziplinäres Vorgehen. Ich habe besonders in den letzten vier Jahren sehr eng und äußerst wirksam mit industriellen Partnern aus der Automobilindustrie, der maritimen Logistik und der Robotik sowie mit Forscher_innen aus unterschiedlichen technischen Disziplinen zusammengearbeitet und Fragen der menschenzentrierten Systemgestaltung angegangen. Durch offene Kommunikation und das gegenseitige Verständnis unterschiedlicher fachlicher Perspektiven und Möglichkeiten für die Erreichung gemeinsamer Ziele werden hervorragende Ergebnisse erzielt. Ich habe bisher auch an der Hochschule als Gastforscher und Lehrbeauftragter sehr gute Erfahrungen damit gemacht und bin der Meinung, dass dies der optimale Weg ist, um gegenwärtige sowie künftige Herausforderungen zu bewältigen, die mit dem digitalisierungsbedingten Wandel der Ausbildung und der maritimen Berufsbilder einhergehen.

Zudem, es ist mir wichtig, aus meiner neuen Position den positiven Beitrag des menschlichen Elements zum effektiven und sicheren Systembetrieb in der maritimen Domäne hervorzuheben. Das menschliche Element wird in der Verkehrssicherheit meistens als Risikofaktor gesehen. Es wird entsprechend versucht, neue Systeme technikzentriert und mit reduzierter menschlicher Beteiligung am Betrieb zu gestalten. Sicherlich sind Menschen mit Einschränkungen konfrontiert, was unsere Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Handlung in Arbeitssituationen angeht.

Klar, wir machen Fehler. Übersehen wird jedoch oft, dass Fehlhandlungen nur Symptome im System und selten die alleinige Ursache für negative Ereignisse sind.

Und dass wir auch über die ausgeprägte Fähigkeit verfügen, uns an situative Anforderungen, auch im Team, schnell anzupassen und auf Basis unseres Wissens und unserer Erfahrung auch unter schwierigen Bedingungen gute Entscheidungen zu treffen, Pläne zu ändern und entstehende Fehler - auch Automatisierungsfehler übrigens - schnell zu entdecken und zu beheben, und in den allermeisten Fällen gesetzte Ziele zu erreichen. Das ist der wichtigste positive Beitrag des menschlichen Elements zur Systemsicherheit und System Resilienz. Es ist meiner Meinung nach entscheidend, Studierenden sowohl diese positive Einstellung zur eigenen Rolle und die damit einhergehende Verantwortung für den effizienten und sicheren Systembetrieb als auch die dazugehörenden Kompetenzen verstärkt zu vermitteln. Und es ist ebenso wichtig den Studierenden mit auf dem Weg zu geben, dass die Digitalisierung der Arbeitssysteme, wie zum Beispiel Assistenzsysteme, das sichere Verhalten unterstützen und dem Menschen kontextangemessen und transparent zur Seite stehen soll. Denn möglicherweise wird deren spätere Aufgabe auch darin bestehen, aktiv an der Optimierung der Arbeitsgestaltung und der eigenen Arbeitsbedingungen teilzunehmen indem sie Feedback an Arbeitgeber, Systemhersteller und Aufsichtsbehörden darüber vermitteln, ob technische Innovationen die Arbeitsprozesse angemessen unterstützen und wo konkretes Verbesserungspotential liegt.

JW: Welche Schwerpunkte möchten Sie in Lehre und Forschung setzen?

Athanassiou: Als Arbeitspsychologe lege ich meinen Schwerpunkt auf das Arbeitsverhalten des menschlichen Elements im soziotechnischen Arbeitskontext und auf die menschenzentrierte Arbeits- und Systemgestaltung. Ein ebenso wichtiger Schwerpunkt besteht im Erwerb und in der Weiterentwicklung von Schlüsselkompetenzen als notwendige Ergänzung zu Fach- und Methodenkompetenzen für den effizienten und sicheren Systembetrieb in dem schnell wandelnden und sehr interkulturellen Kontext der maritimen Industrie. Ich will mir zunächst einen genauen Überblick über das bestehende Lehrangebot verschaffen und Anknüpfungen sowie Möglichkeiten der Integration meiner Module in den Studiengängen des Fachbereichs mit meinen Kolleg_innen, insbesondere aus dem Bereich Nautik erarbeiten.

Es ist mir zudem wichtig, Lernmethoden und -konzepte anzuwenden und kontinuierlich weiterzuentwickeln, die den Transfer theoretischer Inhalte ins aktive Verhalten ermöglichen. Sie bieten Studierenden die Möglichkeit, mittels geeigneter, praxisrelevanter Szenarien, theoretische Konzepte als aktive Handlung umzusetzen, das gezeigte Verhalten mit Hilfe des Dozenten zielbezogen zu reflektieren und (Handlungs-) Kompetenz nachhaltig zu erwerben.

Was Forschung und Lehre gleichmäßig betrifft: Die Digitalisierung wirkt sich vermehrt auf die Auslegung und Form der Arbeitsaufgaben und auf die entsprechenden Kompetenzen der Beschäftigten aus. Die maritime Industrie ist dabei keine Ausnahme. Dies wirft eine Vielzahl von Fragen auf, die ähnlich für die maritime Ausbildung und Forschung von ausgesprochener Bedeutung sind und die angegangen werden sollen.

Zum Beispiel, wie können neue Technologien und Innovationen sich an die kontextuellen Aufgabenanforderungen sowie an die vorhandene Expertise und die Charakteristiken der Nutzer_innen anpassen, um die Durchführung der Arbeitsaufgaben optimal zu unterstützen. Wie sollen autonome Systeme gestaltet werden, so dass die Mensch-System Kollaboration gegenseitig transparent und vorhersehbar erfolgt und was können maritime Industrie und maritime Ausbildung aus anderen Industriedomänen lernen. Wie verändern technologische Entwicklungen das berufsbezogene Wissen, die notwendigen fachlichen, methodischen soziokognitiven Kompetenzen und das gesamte Berufsbild für Arbeitnehmer_innen der Zukunft in der maritimen Industrie. Und letztlich, wie kann die maritime Ausbildung diese Entwicklungen mitbestimmen, ins Curriculum prospektiv berücksichtigen und so vermitteln, dass einerseits Absolvent_innen optimal auf die Herausforderungen des beruflichen Kontexts vorbereitet werden und andererseits die positive Bedeutung der menschenzentrierten Systemgestaltung für effiziente und gute Arbeit als Multiplikatoren in der maritimen Industrie aktiv vorantreiben.

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