Geodaten mit Künstlicher Intelligenz erforschen
ForschungsNotizen der "Innovativen Hochschule Jade-Oldenburg!"
80 Prozent aller Entscheidungen haben einen räumlichen Bezug, besagt eine Faustregel in der Geoinformation. Die Regel gilt auch im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz, sagt Sascha Koch, Professor für Informatik an der Jade Hochschule. Gemeinsam mit dem Projektteam von CoSAIR (Collaborative Spatial Artificial Intelligence in Realtime, deutsch: Kollaborative räumliche künstliche Intelligenz in Echtzeit) arbeitet Koch an dem Ziel, eine Plattform zu entwickeln, auf der sich mithilfe von KI Geodaten in Echtzeit verarbeiten lassen. Aber was heißt das genau? Und warum ist das wichtig? Darüber haben wir mit Koch gesprochen.
Herr Koch, für viele gesellschaftliche Herausforderungen werden Lösungen mithilfe der Künstlichen Intelligenz entwickelt. In welchen Bereichen wird KI für Geodaten angewendet?
Vor dem Hintergrund der nationalen Klimaschutzziele müssen wir beispielsweise unsere Strom- und Wärmeversorgung umfassend verändern. Im Stromsektor wird speziell bei uns im Norden bereits ein hoher Anteil erneuerbarer Energien ins Netz eingespeist. Dabei schwankt die Einspeiseleistung von Photovoltaik- und Windenergieanlagen bekanntlich räumlich und zeitlich sehr stark. Die Stromnetze laufen aber nur stabil, wenn Stromeinspeisung und -verbrauch in einem Gleichgewicht gehalten werden. KI kann hier bei der Steuerung helfen, idealerweise in Echtzeit.
Aktuell besonders diskutiert wird die Wärmewende, das heißt die zukünftige Wärmeversorgung von Gebäuden und Industrie ohne fossile Energie. In Studien wurde berechnet, dass wir bis 2030 rund sechs Millionen Wärmepumpen installieren und an das Stromnetz anschließen müssen, um die Ziele zu erreichen. Gleichzeitig wird es mehr E-Autos und Ladestationen geben. Dies sind Herausforderungen, für die unsere Stromnetze ursprünglich gar nicht vorgesehen waren. KI kann dabei helfen, zu antizipieren, wo zukünftig Wärmepumpen oder Ladestationen zu erwarten sind oder wo Potentialflächen auf Grundstücken vorhanden sind.
Neben den genannten Beispielen gibt es vielfältige Anwendungsgebiete für raumbezogene KI-Auswertungen, zum Beispiel in den Bereichen Mobilität, Logistik oder Gesundheitswesen.
Was ist der Vorteil der Künstlichen Intelligenz bei diesen Fragestellungen?
Betrachten wir das erwähnte Beispiel, Potentialflächen oder -gebäude für Erdwärmeversorgung zu ermitteln und zwar für eine gesamte Kommune. In Oldenburg gibt es etwa 45.000 Wohngebäude. Ohne technische Unterstützung würde die Auswertung viel zu lange dauern. Mit KI kann eine Potentialabschätzung für die gesamte Kommune angestrebt werden, weil sie sehr große Datenmengen auswertet und schneller Ergebnisse berechnet.
Ein weiteres bekanntes Beispiel ist das autonome Fahren, das häufig für PKWs diskutiert wird, aber für uns an der Jade Hochschule auch für Wasserfahrzeuge interessant ist. Durch autonomes Fahren ist die permanente Aufmerksamkeit des Menschen nicht mehr erforderlich. Zudem wird die KI auch bei einer längeren Fahrt nicht ermüden.
Welchen Nutzen hat die Plattform für die Jade Hochschule?
Allein an der Beantragung des Projekts sind acht Kolleginnen und Kollegen direkt beteiligt und weitere beabsichtigen, CoSAIR zu nutzen. Dadurch decken wir ein breites Spektrum in verschiedenen KI-Anwendungsfeldern ab. Alle Projekte der Jade Hochschule, die große Datenmengen mit Künstlicher Intelligenz verarbeiten, werden von einer erheblichen Verkürzung der Rechenzeit profitieren. Verschiedene unserer Forschungsprojekte nutzen Land- und Wasserfahrzeuge, Flugdrohnen und ein Forschungsflugzeug. Sie erheben oft riesige Datenmengen mit räumlichem Bezug.
Kürzlich haben wir beispielsweise ein mit unserem Forschungsflugzeug JADE ONE erhobenes digitales Höhenmodell ausgewertet. Ziel der Arbeit war, geeignete Standorte für Kleinwindenergieanlagen in einer Kommune zu finden. Die computerbasierte Auswertung dauerte aufgrund der großen Datenmengen 67 Stunden. Mit CoSAIR erwarten wir erheblich schnellere Berechnungen.
In einigen Forschungsprojekten wird zudem wichtig sein, dass diese Berechnungen mit CoSAIR in unserem Hochschulrechenzentrum ausgeführt werden. Somit können wir unabhängig von den cloudbasierten KI-Plattformen namhafter IT-Unternehmen forschen und lehren. Dies ist besonders wichtig, wenn sensible Daten ausgewertet werden.
Wofür möchten Sie CoSAIR verwenden?
Im Laufe des CoSAIR-Projektes soll die entstehende KI-Plattform bereits in laufende Forschungsprojekte eingebracht werden. Dies wird zum Beispiel das Projekt WärmewendeNordwest sein, in dem wir Fragestellungen zur zukünftigen Wärmeversorgung im Nordwesten mit 20 Verbundpartnern untersuchen. Unter anderem wird es darum gehen, die Wärmeversorgung von Modellkommunen im Nordwesten als Ganzes zu betrachten und datengestützt eine zukunftsfähige Wärmeversorgungstruktur für die betrachteten Kommunen zu ermitteln. Auf einer detaillierteren Ebene werden wir aber auch einzelne Gebäude betrachten und einen digitalen Hausmeister trainieren, der das Innenraumklima von Gebäuden möglichst optimal regelt.
Darüber hinaus sollen auch Studierende mit Projekten und Abschlussarbeiten und Promovierende von der Plattform profitieren. Das übergeordnete Ziel von CoSAIR ist ja, KI-Nachwuchs bestmöglich auszubilden, insbesondere für unsere Region.
Wie wird CoSAIR konkret aussehen?
Die Plattform wird hardwaretechnisch am Campus Wilhelmshaven aufgebaut, als so genanntes GPU-Cluster, das heißt mit den für KI-Berechnungen erforderlichen Graphischen Recheneinheiten. Über das Hochschulnetzwerk kann CoSAIR dann durch die Mitarbeitenden und Studierenden an allen Studienorten der Jade Hochschule genutzt werden. Dazu können sich Teams in einer für die Jade Hochschule maßgeschneiderten KI-Programmierumgebung zusammenfinden, Daten analysieren und KI-Anwendungen entwickeln. Wir entwickeln zurzeit die notwendigen Schnittstellen sowie Dokumentationen dazu, um einen technisch leichten Umgang mit der Plattform zu ermöglichen.
Welche Schritte stehen für CoSAIR noch bevor?
Die Beschaffungsvorgänge für die benötigte Hard- und Software sind mittlerweile alle auf den Weg gebracht. Der nächste Schritt ist die Erstellung eines Konzeptes für die Nutzung von CoSAIR an allen drei Studienorten der Jade Hochschule.
Herr Koch, vielen Dank für das Gespräch.
Über Sascha Koch
Sascha Koch ist Professor für Informatik mit dem Schwerpunkt Datenanalyse an der Jade Hochschule. Seit rund 25 Jahren engagiert er sich in der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung und als Unternehmensgründer. Koch leitet verschiedene Forschungsprojekte am IAPG (Institut für Angewandte Photogrammetrie und Geoinformatik), neben CoSAIR und WärmewendeNordwest auch die Energieleitplanung im Projekt ENAQ (Energetisches Nachbarschaftsquartier Oldenburg Fliegerhorst). In diesen Projekten werden komplexe, meist raumbezogene Fragestellungen datenbasiert untersucht, um Entscheidungsfindungen zu unterstützen und neues Wissen aus Daten zu generieren, insbesondere für die Energie- und Wärmewende.
*Eigene Darstellung der Jade Hochschule. Hintergrundkarte: www.arcgis.com/home/i-tem.html; © Esri, LGLN, Maxar, Microsoft; www.esri.com/content/dam/esrisites/en-us/media/legal/ma-translations/german.pdf
**Bildquelle: Koch, S.; Elbeshausen, M.; Gravenhorst, T.; Schnabel, M. (in Druck): Geo Data Science für die Energiewende am Beispiel der Standortbewertung für Kleinwindenergieanlagen. In: Grunau, W. (Hrsg.): Künstliche Intelligenz in Geodäsie und Geoinformatik, Wichmann-Verlag, Berlin/Offenbach, ISBN: 978-3-87907-717-5
Über die Innovative Hochschule Jade-Oldenburg!
Die Innovative Hochschule Jade-Oldenburg! wurde als Transferprojekt der Universität Oldenburg, der Jade Hochschule und des Informatikinstituts OFFIS, An-Institut der Universität, im Projektzeitraum 2018 bis 2022 mit rund elf Millionen Euro durch die Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule“ gefördert.
Das Projekt hat innovative Ideen, Hochschulwissen und neue Technologien in die Zielregion getragen und den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben, Wissenschaft aktiv mitzuerleben. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor_innen.