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„Im Notfall sollten Kapitäne nach den Sternen navigieren können“

ForschungsNotizen der "Innovativen Hochschule Jade-Oldenburg!"

Bernd Klemm am Bedienpult des Planetariums Elsfleth, von wo aus er den Besucher_innen den Sternenhimmel präsentiert. (Foto: Hendrik Reinert)
Bernd Klemm am Bedienpult des Planetariums Elsfleth, von wo aus er den Besucher_innen den Sternenhimmel präsentiert. (Foto: Hendrik Reinert)

Ein Gespräch mit Bernd Klemm vom Planetarium in Elsfleth

#menscheninderwissenschaft
#planetariumelsfleth

12 Jahre fuhr Bernd Klemm als Kapitän zur See. Seit 2014 ist er Lehrkraft am Fachbereich Seefahrt und Logistik in Elsfleth. Außerdem ist er Ansprechpartner für das Planetarium, das 1961 am Studienort errichtet wurde. Hier empfängt er Reisegruppen oder Schulklassen, die sich für den Sternenhimmel interessieren. Für unseren Science Blog gibt er Einblicke ins Planetarium und erläutert seine Spezialgebiete in der Lehre: Ladungstechnik und Gefährliche Ladung.  

Der Planetariumsprojektor vom Modell Zeiss ZKP2 (Baujahr 1972) wurde für 140.000 DM von der Jade Hochschule erworben. Er besteht aus zwei Sphären (Nord und Süd), die jeweils eine Hemisphäre (Erdhalbkugel) darstellen. Jeder der „Pickel“ enthält eine Art Dia, das einen Ausschnitt des Himmels projiziert. Die Röhrchen sind Projektoren für Objekte wie Planeten, Sonne oder Mond. Foto: Hendrik Reinert
Der Planetariumsprojektor vom Modell Zeiss ZKP2 (Baujahr 1972) wurde für 140.000 DM von der Jade Hochschule erworben. Er besteht aus zwei Sphären (Nord und Süd), die jeweils eine Hemisphäre (Erdhalbkugel) darstellen. Jeder der „Pickel“ enthält eine Art Dia, das einen Ausschnitt des Himmels projiziert. Die Röhrchen sind Projektoren für Objekte wie Planeten, Sonne oder Mond. Foto: Hendrik Reinert

Herr Klemm, welcher Aufgabe gehen Sie im Planetarium in Elsfleth nach?

Ich präsentiere das Planetarium und auch unseren Fachbereich Seefahrt und Logistik. Oft kommen Gruppen von Abiturient_innen, die sich für nautische Berufe interessieren oder auch Reisegruppen, die in der Region unterwegs sind. Ich zeige und erläutere Projektionen des Sternenhimmels, und die Gäste erfahren von mir nebenbei Wissenswertes über die Geschichte des Studienorts Elsfleth und des Planetariums. Etwa einmal im Semester habe ich außerdem die Lehrkraft des Moduls Astronomische Navigation mit Studierenden des Studiengangs Nautik – also angehende Kapitäne und Offiziere zu Gast.

Der Himmelsglobus (links) zeigt das astronomische Koordinatensystem. Links unten ist Antares dargestellt, ein wichtiger Navigationsstern. Foto: Hendrik Reinert
Der Himmelsglobus (links) zeigt das astronomische Koordinatensystem. Links unten ist Antares dargestellt, ein wichtiger Navigationsstern. Foto: Hendrik Reinert

Wie navigiert man nach den Sternen? Was lernen die Studierenden im Modul „Astronomische Navigation“?

Ich selbst lehre nicht in astronomischer Navigation und bin kein wissenschaftlicher Experte. Aber das Prinzip ist folgendes: Wenn Sie ihre eigene Position nicht kennen, können Sie mit Kenntnis der astronomischen Navigation mithilfe mindestens zweier Sterne – deren Koordinaten bekannt sind – und eines Sextanten die eigene Position herausfinden. Die Sterne, die man für die Navigation heranzieht, sind sehr gut sichtbar, und ihre geographische Position (Breiten- und Längengrad) zu einem bestimmten Zeitpunkt lässt sich über Fach-Tabellen, den so genannten Nautischen Almanach, ermitteln. Bevor Sie navigieren können, müssen Sie zwei dieser Sterne am Himmel erkennen. Mithilfe des Sextanten bestimmen Sie dann den Winkel zwischen jedem der beiden Sterne und dem Horizont. Da Sie beide Winkel ausgehend von ihrer eigenen Position ermitteln, lassen sich – vereinfacht gesagt und nach bestimmten Fehlerkorrekturen – rechnerisch oder auch auf einem Blatt Papier zwei Kreise bilden, deren Schnittpunkt ihre eigene Position darstellt. Anhand der Koordinaten der beiden Sterne können Sie die Koordinaten des Schnittpunktes und somit Ihrer eigenen Position ableiten. Das doch recht komplexe Wissen hierüber wird von den Lehrkräften im Modul „Astronomische Navigation“ vermittelt.

In unserer Planetariums-Kuppel stellen wir den Sternenhimmel quasi dreidimensional dar, und ich kann einige Linien, von denen ich gerade sprach, mitprojizieren. Somit wird das Navigieren nach den Sternen für die Studierenden leichter nachvollziehbar. Vor dem Besuch der Studiengruppe informiert mich die Lehrkraft jeweils, was genau sie den Studierenden zeigen möchte, und ich stelle die Projektion des Planetariums entsprechend ein. Oft präsentiere ich die bekannten Sternenbilder und wie man anhand dieser Bilder die wichtigsten Sterne identifiziert. Wir wollen, dass die Absolventen später auf der Kommandobrücke auf See hochgucken und in der Lage sind, die wichtigen Sterne nicht nur dann zu erkennen, wenn sie das müssen.

Die Erde dreht sich um die Sonne. Aus unserer irdischen Perspektive scheint sich jedoch die Sonne vor dem Sternenhimmel zu bewegen. Die leuchtende Linie - Ekliptik genannt - stellt die scheinbare Bahn der Sonne vor dem Sternenhintergrund im Laufe eines Jahres dar und  illustriert somit die Erdbahn.
Die Erde dreht sich um die Sonne. Aus unserer irdischen Perspektive scheint sich jedoch die Sonne vor dem Sternenhimmel zu bewegen. Die leuchtende Linie - Ekliptik genannt - stellt die scheinbare Bahn der Sonne vor dem Sternenhintergrund im Laufe eines Jahres dar und illustriert somit die Erdbahn.
Der Himmelsglobus (links) zeigt das astronomische Koordinatensystem. Links unten ist Antares dargestellt, ein wichtiger Navigationsstern. Foto: Hendrik Reinert
Der Himmelsglobus (links) zeigt das astronomische Koordinatensystem. Links unten ist Antares dargestellt, ein wichtiger Navigationsstern. Foto: Hendrik Reinert
Der Himmelsglobus (links) zeigt das Firmament sozusagen von außen. Besonderheit des normalen Globus: Der helle Punkt ganz rechts im Bild. Drehen Sie den Globus, dann ist an diesem Ort zum unten an der Skala am Fuß eingestellten Datum Mittag, da die Sonne senkrecht darüber steht.
Der Himmelsglobus (links) zeigt das Firmament sozusagen von außen. Besonderheit des normalen Globus: Der helle Punkt ganz rechts im Bild. Drehen Sie den Globus, dann ist an diesem Ort zum unten an der Skala am Fuß eingestellten Datum Mittag, da die Sonne senkrecht darüber steht.
Mit diesem Bedienpult steuert Bernd Klemm den Planetariumsprojektor (im Hintergrund). Zusätzlich verwendet Klemm einen Laserpointer, eine klassische Pfeillampe und einen Handprojektor für Linien in variabler Länge (auf der rechten Seite des Tischs v. l. n.r. angeordnet).
Mit diesem Bedienpult steuert Bernd Klemm den Planetariumsprojektor (im Hintergrund). Zusätzlich verwendet Klemm einen Laserpointer, eine klassische Pfeillampe und einen Handprojektor für Linien in variabler Länge (auf der rechten Seite des Tischs v. l. n.r. angeordnet).
Sextanten sind Präzisionsinstrumente zum Messen von Winkeln. Die Blenden (links) können in den Strahlengang geschwenkt werden, damit zum Beispiel die helle Sonne nur gefiltert auf das Auge trifft.
Sextanten sind Präzisionsinstrumente zum Messen von Winkeln. Die Blenden (links) können in den Strahlengang geschwenkt werden, damit zum Beispiel die helle Sonne nur gefiltert auf das Auge trifft.
Bernd Klemm zeigt uns die Anwendung des Sextanten.
Bernd Klemm zeigt uns die Anwendung des Sextanten.

Wie wichtig ist das Navigieren nach den Sternen heute noch für die Schifffahrt?

In unserem Kollegium in Elsfleth halten wir die astronomische Navigation weiterhin für extrem wichtig. Es gibt zwar andere Meinungen, aber aktuell zeigt sich ja wieder einmal: In Krisen können die Satelliten-Kommunikationssysteme und auch die -Navigationssysteme abgeschaltet werden. Dann haben wir auf hoher See nur noch die Sterne, nach denen wir uns orientieren können. Wenn Sie in so einem Fall nicht nach den Sternen navigieren können, sind Sie nicht sicher, ob Sie ihr Ziel finden. Es wäre fatal, wenn wir deshalb Schiffe stoppen müssten.

Als junger Seemann hatte ich so ein Erlebnis im Indischen Ozean. Damals hat man nach den Sternen navigiert, zusätzlich gab es erste Satelliten- Navigationsgeräte. Wir hatten ein Navstar Gerät an Bord, einen Vorläufer des heutigen GPS. Das Gerät fiel dummerweise aus. Ich bekam mit, wie der Kapitän und der Erste Offizier sich ängstlich anguckten. Beide starteten Navigationsversuche mit ihren Sextanten. Nach langer Ungewissheit sahen wir ein Leuchtfeuer am Horizont und haben daran erkannt, dass wir in Mumbai angekommen waren. Unsere beiden Führungskräfte waren bis dahin nicht sicher, ob sie uns ans Ziel bringen würden. Die waren so erleichtert, dass sie sich in die Arme fielen.

Heute wird die Astronomische Navigation nicht mehr so ausführlich gelehrt und geübt. Aber unsere Studierenden können an Bord weiter üben, was sie an der Hochschule gelernt haben. Während ihrer Brückenwache zum Beispiel haben Sie häufig für so etwas Zeit. Wenn sie dann mal anhand der Sonne oder eines anderen Sterns die Position ermittelt haben, bleibt das im Gedächtnis. Das können sie im Notfall abrufen. Für diesen Notfall schreiben übrigens viele Staaten immer noch das Mitführen eines Sextanten vor. Der Sextant misst sehr genau. Bei korrekter Anwendung bleiben seine Messfehler oft unter einer Seemeile, also gut unter zwei Kilometern. Damit finden Sie sehr gut Ihren Weg.

Welche Kenntnisse gehören heute insgesamt in die Ausbildung der Kapitäne?

Die nautischen Offiziere und Kapitäne müssen sehr umfassendes Wissen haben. Die Schiffsführung umfasst zum Beispiel das Navigieren und Manövrieren des Schiffs auch in schwierigen Situationen – inklusive Kenntnis aller Kräfte, die im und auf das Schiff wirken können –, das Bedienen und Überwachen der Technik auf der Brücke, die Telekommunikation, Wetterbeobachtung und Routenplanung. Im Hintergrund spielen naturwissenschaftliche Kenntnisse eine wichtige Rolle. Im Schiffsbetrieb sind Offiziere und Kapitäne außerdem für die Besatzung verantwortlich und führen Teams. Sie sind verantwortlich für die Wartung und Instandhaltung des Schiffs. Außerdem müssen sie in der Lage sein, die Beladung des Schiffs sicher zu planen und durchzuführen. Sie müssen sich unter anderem im Wirtschaftsprivatrecht und Seehandelsrecht auskennen. Heute brauchen Sie zudem Wissen über moderne Technologien, Management und Kompetenzen in der internationalen Zusammenarbeit.

Sie lehren die Module „Gefährliche Ladung“ und „Ladungstechnik“ – was lernen die Studierenden bei Ihnen?

Wenn Sie zum Beispiel ein Containerschiff führen, müssen Sie sich umfänglich mit allen Aspekten der Be- und Entladung und Sicherung der Ladung auskennen, müssen in Notfällen Entscheidungen treffen und die Richtlinien internationaler Regelwerke berücksichtigen. Auch der Schutz der Umwelt spielt hier eine große Rolle.

Dabei geht es im Fach „Ladungstechnik“ primär um die „normalen“ Ladungen. Wir unterscheiden unterschiedlichste Schiffstypen. So gibt es Tanker, Massengutschiffe, Containerschiffe, Ro-Ro-Schiffe (Roll on-Roll off-Schiffe, auf welche die Ladung gefahren wird), Schwergutschiffe, Kühlschiffe, Stückgutschiffe und viele mehr. Für jeden dieser Schiffstypen gib es mehr oder wenig typische Ladungen, die jeweils einen besonderen Umgang erfordern. Wie plant man die Beladung? Wie organisiert und überwacht man den Umschlag der Ladung? Welche typischen Risiken gehen von bestimmten Ladungen aus? Wie berechnet man die Sicherung von Ladung auf einem Schiff?

Im Fach „Gefährliche Ladung“ bearbeiten wir zum Beispiel die Fragen: Wie ist gefährliche Ladung überhaupt definiert? Konkret seien hier beispielsweise Explosivstoffe oder Säuren genannt. Welche Gefahren können davon ausgehen und wie geht man mit diesen Gefahren um? Wie kann trotz der Gefahr ein sicherer Transport gewährleistet werden? Was macht man bei Gefahrgut-Unfällen oder wenn ein mit Gefahrengut beladenes Schiff in Seenot gerät? Welche Regeln, Strukturen und Prozesse sind zu beachten? Offiziere und Kapitäne tragen auf See vielfältige Verantwortung, auch in Bezug auf die Ladung und die Risiken, die damit verbunden sind.

Was ist Ihnen persönlich in der Lehre besonders wichtig?

Wir versuchen alle, unsere Studierenden möglichst gut auf die Berufspraxis vorzubereiten. Obwohl die Seefahrt immer technisierter, unpersönlicher und regellastiger wird, gelten nach wie vor viele Besonderheiten, die seit jeher den Beruf des Seemannes ausmachen. Gerade dafür Interesse zu wecken und auf diesem Wege auch das Interessante und Schöne an der Seefahrt nahe zu bringen ist mir besonders wichtig.

Herr Klemm, vielen Dank für das Gespräch.

Über die Innovative Hochschule Jade-Oldenburg!

Die Innovative Hochschule Jade-Oldenburg! wurde als Transferprojekt der Universität Oldenburg, der Jade Hochschule und des Informatikinstituts OFFIS, An-Institut der Universität, im Projektzeitraum 2018 bis 2022 mit rund elf Millionen Euro durch die Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule“ gefördert.

Das Projekt hat innovative Ideen, Hochschulwissen und neue Technologien in die Zielregion getragen und den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben, Wissenschaft aktiv mitzuerleben. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor_innen.
 

Ein Beitrag von:

  • Yukie Yasui
    Yukie Yasui

    yukie.yasui@jade-hs.de