Was wäre wenn…? Oder: Wie die Wesermarsch Hochwasserrisiken verringern kann
Am 4. Mai 2019 fand im Ausgustgroden der 1. Hochwasserschutztag in der Wesermarsch statt, initiiert durch die Jade Hochschule im Rahmen des EU-Projektes „Flood Resilient Areas by Multi-layer Safety“ (FRAMES). Etwa 500 Besucherinnen und Besucher haben sich hier darüber informiert, wie sie im Katastrophenfall am besten handeln, und wie sie ihre Haushalte vorbereiten können.
Samstag, 4. Mai: Im Augustgroden am Jade Busen findet der 1. Hochwasserschutztag der Region statt - eine groß angelegte Informationsveranstaltung für die Bürgerinnen und Bürger der Wesermarsch. Ziel war, das Gefahrenbewusstsein und die Eigenvorsorge der Bevölkerung für Hochwasser-Katastrophenfälle zu stärken. Dr. Helge Bormann von der Jade Hochschule hat als Projektleiter gemeinsam mit seiner Kollegin Jenny Kebschull im Rahmen des EU-geförderten Projektes „Flood Resilient Areas by Multi-layer Safety“ („Hochwasser-resiliente Gebiete durch Mehr-Ebenen Sicherheit“) , abgekürzt FRAMES, die Veranstaltung organisiert. Etwa 500 Menschen kamen – in dieser dünn besiedelten Gegend ist das viel. Es zeigt, wie wichtig den Menschen der Schutz der Küste ist.
Eindrucksvoll: Ein Drittel der Wesermarsch liegt unterhalb des Meeresspiegels. Die Deiche halten die Wassermassen ds Jadebusens von den umliegenden Gemeinden fern.
Wissen und Vorbereitung für den Katastrophenfall
Der Hochwasserschutztag fand auf dem Gelände der Küstenschutzhalle im Augustgroden statt, wenige Meter hinter dem Deich. In der Halle fanden Grußworte, ein ausführlicher Vortrag zum Deichbau und Klimawandel und eine Podiumsdiskussion zum Küstenschutz statt. Um die Halle herum hatte sich eine Vielzahl von Organisationen mit Infoständen aufgestellt. Das Technische Hilfswerk (THW) zeigte anhand eines Deichmodells, wie man Sandsäcke am besten stapelt, um Wasser aufzuhalten. Die Kreisfeuerwehr war mit ihrem Einsatzleitwagen vor Ort, der im Katastrophenfall über Funk die Rettungsmaßnahmen im gesamten Landkreis steuert. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) informierte darüber, wie eine vierköpfige Familie für den Notfall für zehn Tage vorsorgen kann: 80 Liter Trinkwasser, 10 Liter Saft, ausreichend haltbare Lebensmittel, einen Gaskocher, ein batteriebetriebenes Analogradio und mindestens eine Taschenlampe sollte man im Haus haben. Am Stand der Jade Hochschule konnten Kinder an einem Quiz rund ums Thema Stromausfall teilnehmen. Außerdem stellten Studierende der Jade Hochschule im Rahmen des Moduls Risiko- und Krisenkommunikation im Masterstudiengang Management Digitaler Medien (MDM) Informationsmaterialien für den Hochwasserschutztag zur Verfügung, die sie eigens unter Leitung von Prof. Dr. Michael Klafft entwickelt hatten. Unter anderem wurde eine interaktive Website zum Thema Sturmflut mit dem Namen Blanker Hans im Medienzentrum gezeigt.
Wie sicher sind die Deiche?
Die Höhe und Breite der heutigen Deiche ist auch das Ergebnis des Schreckens, den die „große Sturmflut“ von 1962 an der gesamten Nordseeküste hinterlassen hat. „Wer das miterlebt hat, wird das in seinem ganzen Leben nicht vergessen“, so begann Rolf Blumenberg, ehemaliger Bürgermeister der Küstengemeinde Butjadingen, seinen Zeitzeugenbericht auf dem Hochwasserschutztag. Dr. Michael Schirmer vom Bremischen Deichverband erklärte in seinem Vortrag, dass die Sturmflut am 16. Februar vor 57 Jahren zu einem Umdenken im deutschen Küstenschutz geführt habe. Seither beschäftigten sich die Ingenieurswissenschaften mit dem Küstenschutz, errichteten Testdeiche und verbesserten diese immer weiter. Die Deichplanung sei inzwischen so perfektioniert, dass sich Deiche bei richtiger Vorplanung auch nachträglich erhöhen oder verbreitern ließen. Das Ergebnis seien die bislang höchsten und breitesten Deiche, mit 120 bis 150 Metern Breite würden diese Überlaufdeiche aufgrund ihrer technischen Konstruktion kaum noch brechen. Aber es seien noch nicht alle Deiche entsprechend gesichert. Außerdem sei Deichbau alleine weiterhin nur ein reaktiver Küstenschutz, sagt Schirmer und weist darauf hin, dass Prävention auch auf anderen Ebenen notwendig sei.
CO2, die Erderwärmung und der Meeresspiegel
Als Beleg für die künftigen Gefahren durch Hochwasser geht Schirmer intensiv auf das Thema Klimawandel ein: Er weist auf den Anstieg der CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre hin, welche – wie er anhand wissenschaftlicher Studien erläutert – beschleunigt steigt und eine Erderwärmung verursacht, die wiederum zu einem Meeresspiegelanstieg führt. Dieser liege inzwischen bei 3,4 Millimetern pro Jahr. Das Absinken der Erdscholle mit 15 Zentimetern pro Jahrhundert verstärke den Effekt. In den nächsten 200 Jahren sei ein Anstieg des Meeresspiegels um bis zu drei Meter zu erwarten. Diese Entwicklung erhöht logischerweise die Gefahr von Überflutungen, insbesondere bei regionalen Extremwetterereignissen wie Stürmen und Starkregen. Schirmer sagt: „Wir Menschen setzen den natürlichen Zyklus von Kalt- und Warmzeit außer Kraft. Die Winter kommen abhanden, die Frostperioden werden weniger.“ Er spricht von der Arktis, die einer Studie von Screen & Deser (2019) zufolge im Jahr 2040 eisfrei sein könnte. Seit 1979 sei das arktische Eis um 12,8 Prozent jährlich zurückgegangen. Während Eis Sonnenenergie reflektiere, nehme Wasser Energie auf und erwärme sich, was wiederum die Erwärmung der Erde und den Meeresspiegelanstieg noch weiter fördere.
Neues EU-weites Hochwasserrisikomanagement
Auch die Europäische Union hat die Notwendigkeit zu einem Umdenken im Küstenschutz erkannt. Acht Buchstaben stehen für eine neue Vorgehensweise im Europa-weiten Küstenschutz. EU HWRM-RL ist die Abkürzung für die europäische Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie, die 2007 in Kraft getreten und seit 2009 mit einer Neuregelung des Wasserrechts ins deutsche Recht übernommen ist. Im Fokus der Richtlinie steht – wie der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz auf seiner Website schreibt –, die „Minimierung von Risiken für vier Schutzgüter:
• die menschliche Gesundheit,
• die Umwelt,
• das Kulturerbe und
• die wirtschaftlichen Tätigkeiten.“
Während bislang der Fokus im Küstenschutz auf dem Bau von Deichen und deren Sicherheit lag, ist also mit der EU-Richtlinie das Risiko und dessen Minimierung in den Mittelpunkt des Küstenschutzes gerückt. Es ist ein wichtiger Schritt, der auf die Bewältigung der Restrisiken abzielt, da technische Bauwerke keinen 100%igen Schutz liefern können. Dieses Restrisiko soll auf möglichst viele Schultern verteilt werden. Das bedeutet, dass auch jede und jeder Einzelne sich selbst bestmöglich auf den Katastrophenfall vorbereiten muss.
Wie lassen sich die Hochwasserrisiken – übertragen auf die Region Wesermarsch – minimieren?
Dieser Frage widmete sich das oben genannte EU-weite Projekt FRAMES, für das sich Partner aus Belgien, Dänemark, England, den Niederlanden und Deutschland zusammengetan haben. Sie untersuchen in 13 Pilotprojekten das Zusammenwirken von Küstenschutz-Maßnahmen auf vier Ebenen: 1. Prävention (zum Beispiel durch Deichbau), 2. räumliche Anpassung (zum Beispiel durch planerische und bauliche Maßnahmen im öffentlichen wie privaten Sektor), 3. Katastrophenschutz im Falle eines Hochwasserereignisses und 4. Wiederaufbau nach einem Ereignis.
In der Wesermarsch wurden im Rahmen des Projektes im Frühjahr 2018 die Bürgerinnen und Bürger in Butjadingen befragt um herauszufinden, wie groß das Risikobewusstsein der Bevölkerung ist und ob diese ausreichend auf den Risikofall vorbereitet ist. Ergebnis war, „dass die Bevölkerung nicht ausreichend über die richtigen Verhaltensweisen im Katastrophenfall informiert ist“, schrieb Dr. Frank Ahlhorn von der Gruppe „Küste und Raum“ und Mitorganisator des Hochwasserschutztages in der Fachzeitschrift „Wasser und Abfall“ 11/2018 zu der Fragebogen-Untersuchung von FRAMES. Auf die Frage‚ wie sich die Menschen im Falle eines Deichbruches verhalten würden, sei eine häufige Antwort gewesen: „‘Ins Auto setzen und auf höher gelegene Flächen fahren‘. Betrachtet man die Höhenkarte der Wesermarsch, müssten die Menschen zunächst die am höchsten gefährdeten Gebiete durchqueren, um in sichere Höhenlagen zu gelangen. Weiterhin gibt es nur zwei gut ausgebaute Straßen, die in Richtung Süden zur höher gelegenen Geest führen, die aber im Katastrophenfall bevorzugt für Rettungskräfte und Hilfsorganisationen freigehalten werden sollen. Auch hier ist demnach ein erheblicher Informationsbedarf vorhanden“, schließt Ahlhorn.
In Zusammenarbeit mit allen wesentlichen Akteuren des Katastrophenschutzes in der Region Wesermarsch mündete das deutsche Pilotprojekt von FRAMES in der Initiierung des 1. Hochwasserschutztages für die Bevölkerung in der Wesermarsch. „Wir haben die sichersten Deiche seit Menschengedenken, aber was können wir tun, wenn doch einmal etwas passiert?“, sagte Bormann eingangs auf der Veranstaltung. Ahlhorn wies in der Podiumsdiskussion darauf hin, dass schon Grundschulkinder auf den Katastrophenfall vorbereitet werden müssten, dann seien künftige Generationen am besten gegen Risiken aufgestellt. Alle regionalen Akteure sind sich einig, dass der Hochwasserschutztag und damit die Stärkung des Risikobewusstseins und der Eigenverantwortlichkeit regelmäßig wiederholt werden sollte. „Nachdem das Projekt FRAMES in Kürze abgeschlossen sein wird, muss sich aus dem Kreis der regionalen Organisationen und Akteure jemand bereit erklären, für den nächsten Hochwasserschutztag die Verantwortung zu übernehmen“, betont Bormann.
Was würdest Du einpacken, wenn Du im Katastrophenfall in zehn Minuten aus dem Haus musst?
Zwei Zitate von Besucher_innen zum Hochwasserschutztag:
„Mir hat das breitgefächerte und umfangreiche Angebot an verschiedensten Ständen gefallen. Katastrophen Info und Hilfe ist bundesweit gültig – waren also auch für uns als Nicht-Küsten-Bewohner interessant. Schön war auch, dass Kinder mit themenbezogenen Spielen und Mitmachaktionen einbezogen wurden.“
„Die Broschüre zum Katastrophenschutz (vom Bundesministerium) ist gut, und ohne den Besuch auf dem Hochwasserschutztag hätte ich nicht davon erfahren. In guter Erinnerung werde ich auch die Umfrage behalten: ‚Was würdest Du einpacken, wenn Du im Katastrophenfall aus dem Haus musst? Die Feuerwehr gibt Dir zehn Minuten‘.“
Hilfreiche Links zum Katastrophenschutz
Die im zweiten Zitat angesprochene Broschüre des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit dem Titel „Ratgeber für Notfallvorsorge und
richtiges Handeln in Notsituationen“ ist hier einzusehen: bkk.bund.de
Außerdem schaue ich mir die von Dr. Schirmer empfohlene interaktive Hochwassergefahrenkarte für Niedersachsen an : umweltkarten-niedersachsen.de
Auf dieser Karte kann man für beliebige Punkte in der Region nachmessen, wie nah im Falle eines Deichbruchs an der Nordsee das Wasser reichen würde. Bei intakten Deichen sind es vom Stadtrand Oldenburgs rund 28 Kilometer bis zum Jadebusen. Bei einem Deichbruch stünden laut dieser Karte auch Teile Oldenburgs unter Wasser.
Über die Innovative Hochschule Jade-Oldenburg!
Die Innovative Hochschule Jade-Oldenburg! wurde als Transferprojekt der Universität Oldenburg, der Jade Hochschule und des Informatikinstituts OFFIS, An-Institut der Universität, im Projektzeitraum 2018 bis 2022 mit rund elf Millionen Euro durch die Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule“ gefördert.
Das Projekt hat innovative Ideen, Hochschulwissen und neue Technologien in die Zielregion getragen und den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben, Wissenschaft aktiv mitzuerleben. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor_innen.
Das Flugzeug wird eingesetzt, um zu den Themen Klimawandel, Küstenschutz und steigender Meeresspiegel Aufschluss geben zu können. Die Forscher setzen sich insbesondere mit der Frage auseinander, wie sich die norddeutsche Küste verändert. Aus der Luft sollen deshalb Aufnahmen gemacht werden, um diese Veränderungen sichtbar zu machen. Der zweisitzige Motorsegler hat eine Spannweite von 16 Metern. Mit einer Reichweite von 1.000 Kilometern und einer Flugdauer von sechs Stunden haben ein_e Pilot_in und ein_e Wissenschaftler_in ausreichend Zeit, um umfangreiche Erkenntnisse zu gewinnen.