Die Jade Hochschule auf dem Weg zur KI-Hochschule: Vision und Beweggründe
Interview mit Vizepräsident Prof. Dr. Holger Saß
Bis zum Jahr 2030 strebt die Jade Hochschule an, im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) ihre Expertise weiter auszubauen und eine führende Rolle in der Region zu übernehmen. Dies beschloss der Senat am 28. Januar in der Hochschulentwicklungsplanung.
Dem zugrunde liegt die erfolgreiche Teilnahme an der Ausschreibung „Potenziale strategisch entfalten“ des niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur und der VolkswagenStiftung. Die Jade Hochschule erhält ab September 7,7 Millionen Euro, um die Hochschule im Bereich der Künstlichen Intelligenz zu profilieren und ihre Aktivitäten weiter auszubauen. Die Jade Welt (JW) spricht mit Prof. Dr. Holger Saß, Vizepräsident für Forschung, Third Mission und Gleichstellung über die Pläne.
JW: Herr Prof. Dr. Saß, die Jade Hochschule möchte sich zu einer KI-Hochschule entwickeln. Was sind die Beweggründe?
Saß: Um die Frage zu beantworten, sollten wir uns zunächst kurz damit beschäftigen, was Künstliche Intelligenz eigentlich ist. Die EU beschreibt es so: „Künstliche Intelligenz ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren.“
Einerseits gehen die beispielhaft genannten Fähigkeiten über die Möglichkeiten herkömmlicher Software, bei der ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Eingabe, der Verarbeitung und der Ausgabe gegeben ist, hinaus. Andererseits wird damit keineswegs alles abgedeckt, was wir üblicherweise unter menschlicher Intelligenz in seiner gesamten Vielfalt verstehen.
Die Forschung zum Thema der Künstlichen Intelligenz hat bereits in den 1950er Jahren begonnen und umfasst viele Teilbereiche wie zum Beispiel maschinelles Lernen, natürliche Sprachverarbeitung, Neuronale Netze. Wie bei vielen anderen Technologien auch, hat die enorme Steigerung der Rechen- und Speicherleistung sowie die Entwicklung des Internets zu einem Entwicklungsschub geführt. Nachdem im November 2022 ChatGPT öffentlich nutzbar wurde, entwickelte es sich zur am schnellsten wachsenden Internetanwendung aller Zeiten, die bereits nach zwei Monaten über 100 Millionen Nutzer_innen hatte. Dabei ist dieser Chatbot „nur“ eine mögliche KI-Anwendung.
Sowohl parallel zum Wachstum von ChatGPT als auch dadurch angestoßen, wurde KI in immer mehr Anwendungsbereichen eingeführt oder deutlich sichtbarer gemacht. Aus einer Umfrage an Hochschulen aus dem letzten Jahr wissen wir, dass mehr als die Hälfte der Lehrenden und Studierenden bereits KI-Tools einsetzt.
An der Jade Hochschule haben wir das zum Beispiel mit der Bereitstellung von HAWKI und dem Zugang zur Niedersächsischen Academic Cloud mit dem dort integrierten Chat AI unterstützt.
KI hat bereits praktisch alle Lebensbereiche mehr oder weniger stark durchdrungen und ist, ob man dies nun begrüßt oder nicht, fester Bestandteil unseres Lebens geworden. Dies betrifft in besonderer Weise die Art und Weise des Lernens, des Schreibens, des wissenschaftlichen Arbeitens und die Arbeitswelt. Wo also, wenn nicht an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften, sollte man sich damit intensiver auseinandersetzen? Wir wollen mit der Fokussierung auf das Thema diese Entwicklung aktiv aufgreifen und mitgestalten, denn wir qualifizieren Menschen für die Aufgaben der Zukunft und gestalten durch Forschung und Transfer die Zukunft mit.
Wir können, ja wir müssen uns bei einem so wichtigen Thema beteiligen. In unserer Leitlinie zur Nutzung generativer KI-Tools haben wir das so formuliert:
„Ziele sind ein wachsamer, souveräner und mündiger Umgang mit neuen und sich rasch entwickelnden Technologien sowie die Fähigkeit, im Kontext tiefgreifender gesellschaftlicher Transformationen kompetent positive Beiträge zu liefern.“
Dass wir dabei den Fokus auf die Entwicklung und Anwendung von KI in konkreten Aufgabenstellungen und weniger im Bereich der theoretischen Weiterentwicklung sehen, ergibt sich aus unserer Aufgabe als Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW).
JW: Die Jade Hochschule konnte sich in der Ausschreibung „Potenziale strategisch entfalten“ mit ihrer Vision einer KI-Hochschule erfolgreich durchsetzen. Welche konkreten Maßnahmen sind geplant, um diese Vision auch umsetzen zu können?
Saß: Im Rahmen dieses Projektes werden die folgenden Maßnahmen umgesetzt:
- Besetzung von fünf Professuren mit KI-Schwerpunkt zur langfristigen Stärkung in diesem Themenfeld
Die Professuren werden durch die Förderung mit befristeten Mitteln für eine wissenschaftlich mitarbeitende Person ausgestattet und dadurch für die Bewerber_innen attraktiver und im Bereich der Forschung unterstützt. - Einrichtung eines KI-Labors zur Unterstützung in der Lehre
- Einrichtung eines KI-Zentrums mit Schwerpunkt Spatial AI zur Unterstützung in der Forschung
- Fortsetzung der Mitwirkung im Green Shipping Netzwerk zur Entwicklung weiterer (KI)-Forschungsprojekte
JW: Als Vizepräsident für Forschung haben Sie insbesondere die KI-orientierten Forschungsaktivitäten im Blick. Können Sie spezifische Projekte oder Forschungsvorhaben nennen, die in naher Zukunft umgesetzt werden sollen oder bereits Anwendung finden?
Saß: Bereits abgeschlossen ist das Projekt Collaborative Spatial Artificial Intelligence in Realtime (CoSAIR), das 2021 eingeworben wurde. Es ist ein fachbereichsübergreifendes, zentrales System zur Unterstützung der Anwendung der KI bei der Verarbeitung der an der Jade Hochschule an vielen Stellen vorkommenden Daten mit Raumbezug (spatial). Fünf weitere Projekte laufen bereits, bei denen unterschiedliche Themen bearbeitet werden. Zwei Projekte widmen sich der digitalen Provenienz- und Sammlungsforschung (ProSaDi und DiViAS), zwei Projekte der Unterstützung der Wärmeplanung (FLAKE und WWNW) und eines der Verbesserung der Qualität bei Operationen von Knie Endoprothesen (ASKAR3D).
Weitere Projekte sind beantragt oder haben bereits eine Zusage zur Einreichung eines Vollantrages erhalten. Es ist erkennbar, dass das Thema KI auch im Bereich der Forschung an Bedeutung gewinnt und damit die Inhalte erarbeitet werden, die dann in den Transfer und die Lehre überführt werden können.
Neben den von Dritten geförderten Projekten sollten wir diejenigen Professor_innen nicht vergessen, die im Rahmen ihrer allgemeinen Aufgaben, durch den Forschungsfonds monetär oder durch die interne Forschungsförderung im Rahmen der Ermäßigungen der Lehrverpflichtung bis hin zu Forschungssemestern unterstützt, an dem Thema arbeiten.
JW: Die interdisziplinäre Zusammenarbeit wird als ein entscheidender Faktor für den Erfolg beschrieben. Wie soll die Zusammenarbeit mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie zukünftig ausgebaut und verstärkt werden?
Saß: Bereits heute finden die allermeisten Forschungsprojekte mit Umsetzungspartnern statt. Das gilt beispielsweise auch für alle oben genannten Projekte. Durch eine kontinuierliche Mitwirkung in Netzwerken wie dem Oldenburger Energiecluster (OLEC), dem Energy HUB Port of Wilhelmshaven, dem POWERHOUSE NORD und zahlreichen weiteren, arbeiten wir an einer immer besseren Wahrnehmung der Jade Hochschule als Forschungs- und Transferpartnerin. Die vor kurzem abgeschlossene Kooperationsvereinbarung mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) ist im Themenbereich KI besonders hervorzuheben.
Darüber hinaus spielen auch die zahlreichen Abschlussarbeiten und studentischen Projekte eine wichtige Rolle, die in Zusammenarbeit mit den Partnern aus Wirtschaft und Verwaltung erstellt werden und die wir noch intensiver für die Entwicklung von Projekten nutzen sollten.
Eine deutliche Unterstützung werden wir bei der interdisziplinären Zusammenarbeit durch die beiden neuen zentralen Einrichtungen, das KI-Labor zur Lehrunterstützung und das KI-Zentrum mit dem Schwerpunkt Spatial AI erfahren. Beide werden einen stärkeren Austausch zwischen den Fachbereichen fördern sowie die Sichtbarkeit und Vielfalt unserer KI-Aktivitäten nach außen erhöhen.