Im Mittelalter als Handelsschiff auf den Weltmeeren, jahrzehntelang als Wrack unter Wasser, jetzt im Deutschen Schifffahrtsmuseum Bremerhaven ausgestellt – die Geschichte der „Bremer Kogge“ ist lang. Damit das Handelsschiff und damit ein wichtiger Teil der maritimen Geschichte weiterhin erhalten bleibt, sind aufwendige Konservierungsarbeiten notwendig. Wissenschaftler_innen der Jade Hochschule schaffen hierfür die Voraussetzung, indem sie messen, wie sich das über 600 Jahre alte Wrack verformt.
Kein Forschungsprojekt von der Stange
Um die Verformung des über 20 Meter langen und knapp acht Meter breiten Schiffswracks millimetergenau zu bestimmen, eignen sich optische dreidimensionale Messverfahren. Das war für das Forscherteam um Prof. Dr. Thomas Luhmann und Heidi Hastedt vom Institut für Angewandte Photogrammetrie und Geoinformatik der Jade Hochschule schnell klar. Rund 200 sogenannte Messmarken brachten die Wissenschaftler_innen an der Kogge an – mit einem speziellen Klebe-Verfahren, sodass die Punkte wieder von dem Schiffswrack gelöst werden können, ohne dass Schäden entstehen. „Die im Durchmesser einen Zentimeter großen Messpunkte sind unauffällig und werden erst durch den Blitz einer Kamera richtig sichtbar“, sagt Hastedt. Mit einer photogrammetrischen Messkamera machten die Geodäten rund 400 Bilder pro Messung - von allen Seiten, auf allen Ebenen und in verschiedenen Ausrichtungen. „Was man auf den Bildern sieht, sind einfach weiße Punkte auf einem schwarzen Hintergrund“, erklärt die Wissenschaftlerin. Durch die Mehrbildtriangulation, einer rechnerischen Rekonstruktion aus verschiedenen Bildern, ergeben sich dreidimensionale Koordinaten. Durch Messung in zeitlich gestaffelten Epochen ergibt sich damit ein genaues Bild der Verformung der gesamten Kogge. „Wir untersuchen hier die dauerhafte Veränderung der Gesamtgeometrie, nicht die Verformung einzelner Holzteile“, sagt Hastedt.
Herausforderungen im Forschungsprozess
Bereits 2016 wandte sich Amandine Colson, Restauratorin im Deutschen Schifffahrtsmuseum, an die Experten der Jade Hochschule. „Zu diesem Zeitpunkt wussten wir, dass sich die Kogge verformt, aber nicht, wie stark und warum“, erklärt Colson. Seitdem haben die Forscher_innen Ziele definiert, Testmessungen durchgeführt, verschiedene Verfahren ausprobiert, die Daten bewertet und immer wieder überprüft, ob sie noch auf der richtigen Spur sind. Nach anderthalb Jahren Vorbereitungszeit können jetzt die Hauptmessungen beginnen, die in den nächsten zehn Jahren zwei Mal jährlich durchgeführt werden.
Einige Herausforderungen erschwerten den Forschungsprozess, ergänzt Hastedt: „Dazu zählen natürlich die Größe des Objektes und die komplexen Anforderungen.“ Zudem sei das Schiffswrack nicht rundherum zugänglich – der Kiel und Teile des unteren Schiffsrumpfes sind durch die Ausstellung schwer zugänglich – das bedeutet, dass dort nicht ohne weiteres Messpunkte angebracht werden können. Auch ist das Museum weiterhin für Besucher zugänglich, die von den Messungen nicht gestört werden sollten. Und auch eine unerwartete Herausforderung kam hinzu: Das Deutsche Schifffahrtsmuseum liegt auf einer Insel zwischen Weser und Hafenbecken und das umfließende Wasser, die Gezeiten, wirken auf das Gebäude – und könnten so auch einen Einfluss auf die Verformung der Kogge haben. „Von Anfang an war dieses Vorhaben kein Forschungsprojekt von der Stange“, sagt Hastedt. „Das macht es umso spannender.“
„Bremer Kogge“ – neues Stützsystem
Die im Deutschen Schifffahrtsmuseum Bremerhaven ausgestellte „Bremer Kogge“ ist das weltweit am besten erhaltene Handelsschiff des Mittelalters. Das Schiffswrack aus dem 14. Jahrhundert wurde im Jahr 1962 in der Weser gefunden. Von 1972 bis 1978 wurde es rekonstruiert, anschließend aufwendig konserviert und im Jahr 2000 erstmals ausgestellt.
Ein Jahr später wurden schon erste Verformungen festgestellt. Um das Schiff, das bisher an der Decke „aufgehängt“ war, zu stabilisieren, wurde es zusätzlich mit einem Stahlgerüst umgeben. Doch auch die Stahlkonstruktion drückte auf das Holz und trug damit zur Verformung bei, sodass langfristig über ein neues Stützsystem nachgedacht wird. „Denkbar wäre es, die Kogge von innen mit einem Skelett zu füllen, das die Holzelemente zusammenhält“, erklärt Colson. Doch das würde Kosten in Millionenhöhe verursachen. „Bevor wir hier weiterdenken, warten wir erst einmal die Messergebnisse ab.“