Dr. Sven Heuer wurde auf die Professur für „Grundlagen und Theorien der Sozialen Arbeit“ an die Jade Hochschule berufen. Er lehrt und forscht künftig im Fachbereich Wirtschaft und Gesellschaft am Studienort Wilhelmshaven. Die Jade Welt (JW) fragt nach…
Heuer: Ich bin die Professur für „Grundlagen und Theorien der Sozialen Arbeit“ des Studienganges Soziale Arbeit mit der Motivation angetreten, zukünftige Sozialarbeiter_innen für die Inhalte ihrer Hochschulausbildung zu begeistern: Sobald Lebensgeschichten aus der Welt unserer Adressat_innen mit theoretischen „Werkzeugen“ entschlüsselt werden, beginnt ein spannender wie professioneller Verstehensprozess.
Diese Überzeugung werde ich in meinen Veranstaltungen praxisnah vermitteln und wissenschaftlich durch unterschiedliche methodische Perspektivwechsel gemeinsam mit den Studierenden vertiefen. Dafür bringe ich ein vielseitiges Qualifizierungsprofil mit, das die Basis für eine lebhafte Lehre bietet.
Meine berufliche Laufbahn ist geprägt durch eine langjährige Berufspraxis, die sowohl eine umfangreiche Lehrpraxis einer wissenschaftsbasierten Theorievermittlung als auch konkrete Praxiserfahrung in Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit miteinander verknüpft. Neben meiner akademischen Qualifizierung und der bisherigen Lehrtätigkeit als Lehrbeauftragter und wissenschaftlicher Mitarbeiter an verschiedenen Universitäten, verfüge ich über eine umfangreiche Berufserfahrung in Handlungsfeldern der stationären Jugendhilfe, offenen Kinder- und Jugendarbeit, des Übergangs- und Schulsystems und der Straffälligenhilfe.
Über die Praxis hinaus, begleitet mich auch wissenschaftlich die Frage, wie sozialarbeiterische Hilfeprozesse professionalisiert werden können, um optimal die jeweiligen Adressat_innengruppen zu begleiten und auch in besonders prekären Lebenslagen zu unterstützen. Die Theorien Sozialer Arbeit bieten hier vielseitige Antworten, die ich durch meine wissenschaftliche Arbeit und Forschung in zahlreichen Publikationen zu Arbeitsfeldern der Intensivpädagogik oder zum Beispiel des beruflichen Übergangssystems und weiteren professionstheoretischen Fragestellungen mit ausformuliere.
Für meine neue berufliche Aufgabe verbinde ich somit den konkreten Blick auf die Berufspraxis von Sozialarbeiter_innen mit einem theoretischen Repertoire, das ich gerne im Rahmen der Professur vermitteln will. Diese Vermittlungsaufgabe verstehe ich als zentrale Aufgabe der Professur. Die Jade Hochschule in Wilhelmshaven mit ihrem jungen Studiengang Soziale Arbeit ist hier der richtige Ort, um in Vorlesungen und Seminaren gemeinsame Lösungswege zu Praxisfragen zu eröffnen, die für die lokalen Verhältnisse und ihre institutionellen Akteur_innen von Relevanz sind. Theoriearbeit ist nicht nur eine spannendes Reflexions- und Experimentierfeld und ein zentrales Kriterium für gut ausgebildete Sozialarbeiter_innen mit Bachelorabschluss, sondern kann fruchtbare Impulse für die Verbesserung von pädagogischer Qualität bieten.
Für mich ist es daher ein persönliches Anliegen, den zukünftigen Bachelorabsolvent_innen und Sozialarbeiter_innen durch den passenden didaktischen Rahmen eine bestmögliche Hochschulausbildung zu garantieren. Die Jade Hochschule bietet hier mit ihrem neuen Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit, der erst 2023 startete, für mich die große Möglichkeit gemeinsam mit den Kolleg_innen das Profil des Studiengangs innovativ weiterzuentwickeln und Freude an der Theorie entstehen zu lassen.
JW: Mit welchen Erwartungen und Vorstellungen treten Sie die Professur an?
Heuer: Wir erleben im Studiengang Sozialer Arbeit unter den mitwirkenden Kolleg_innen ein großes Engagement und dadurch eine positive Dynamik, die für alle Beteiligten die Chance eröffnet, beim weiteren inhaltlichen und organisatorischen Aufbau des neuen Studiengangs kreativ dabei zu sein. Insofern sind meine Erwartungen sehr hoch und eng an die Ausgestaltungspotenziale geknüpft, die der Studiengang bietet. Die Studierenden werden beispielsweise im vierten Semester einen unserer Schwerpunkte („Betreuungswesen“ und „Erlebnis- und Umweltpädagogik“) auswählen können und damit ihre erste eigene Spezialisierung im Handlungsfeld der Sozialen Arbeit vollziehen. Diese Module gilt es inhaltlich auszugestalten und dabei die Zusammenarbeit mit den Studierenden bei ihrem Weg in die Praxis fachwissenschaftlich wie beratend optimal zu begleiten.
Um unser gesamtes Lehrangebot weiter auszubauen, sind bereits weitere Professuren in Planung. Darüber hinaus soll die Zusammenarbeit mit Praxispartner_innen und Expert_innen im Handlungsfeld weiter ausgebaut werden. Ich freue mich sehr darauf, die genannten Etablierungs- und Erneuerungsprozesse mitzugestalten, um eine bestmögliche Studienqualität dauerhaft abzubilden.
JW: Welche Schwerpunkte möchten Sie in Lehre und Forschung setzen?
Heuer: Ich möchte in meinen Seminaren und Vorlesungen die Neugier für die Theorien der Sozialen Arbeit wecken und den Theorie-Praxis-Transfer vorantreiben.
Theorien sind nicht grau und verstaubt, sondern bunt und genauso vielfältig und überraschend wie die sozialarbeiterische Praxis selbst.
Die fachliche Reflexion von konkreten Fall- und Lebensgeschichten ist ohne einen sicheren Umgang mit den Theorien Sozialer Arbeit kaum professionell auszugestalten. Meine Lehrveranstaltungen werden fachdidaktisch so konzipiert sein, dass die Studierenden diesen sicheren Umgang erproben und Reflexionsprozesse systematisch erlernen können. Darüber hinaus wird gerade von allen Mitarbeiter_innen des Studienganges an der Verzahnung und inhaltlichen Abstimmung der verschiedenen Module im Sinne des Gesamtcurriculums gearbeitet.
Neben der Weiterentwicklung der Lehre sind langfristig kooperative Forschungsprojekte mit anderen Hochschulen geplant, die beispielsweise die Straf- und Repressionsorientierung des berufsbezogenen Selbstkonzeptes von Expert_innen untersuchen. Auf der Grundlage bisheriger Vorarbeiten bildet die Adressat_innenforschung zur sogenannten Systemsprenger_innen-Debatte ebenfalls einen Forschungsbereich ab, den ich langfristig in meine Planungen einfließen lassen werde. Meine bisherigen Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte der Devianz- und Intensivpädagogik, der pädagogischen Übergangsgestaltung von jungen Erwachsenen ins Übergangs- und Ausbildungssystem, der wohlfahrtsstaatlichen Transformationsprozesse der Arbeits- und Sozialpolitik werden immer wieder praxisnahe Schlüsselthemen in meinen Theorieveranstaltungen sein. Mich interessiert besonders die Frage, welche professionellen Voraussetzungen entscheidend sind, um Kinder und Jugendliche optimal bei ihrer Lebensbewältigung zu unterstützen, die gesamtgesellschaftlich als hochgradig „schwierig“, „auffällig“ oder „besonders herausfordernd“ beschrieben werden. Beim Beantwortungsversuch dieser Frage wird schnell deutlich, welche Kompetenzvielfalt sich Sozialarbeiter_innen aneignen müssen. Ein mehrperspektivischer Blick auf die jeweiligen sozialen Situationen und die Schärfung der eigenen Stärken spielen hier eine entscheidende Rolle zur Entwicklung einer überzeugenden Berufsidentität.
Unabhängig von weiteren Teilgebieten, wie professionsethischen Fragestellungen und der Kritik an strafförmigen Handlungskonzepten, sind alle meiner Themen immer auch ein Gegenstand der sozialarbeiterischen Professionalisierungsdebatte. Zukünftige Sozialarbeiter_innen kommen immer wieder mit einer Frage in Berührung: Wie gelingt es, gerade unter besonderer Berücksichtigung der schwierigen Lebenslagen unserer Adressat_innen, diese individuellen „Krisen“ reflektiert zu bewerten, systematisch zu analysieren und möglichst partizipative wie wirksame Hilfeprozesse zu planen bzw. anzustoßen? Die Studierenden sollen sich diese Frage im Laufe ihres Studiums möglichst konkret – im Hinblick auf „Fall“ und Handlungsfeld – selbst beantworten: Das Fach- und Orientierungswissen und die notwendigen „Werkzeuge“, die sie dazu in ihrem zukünftigen Berufsalltag benötigen, bekommen sie in meinen Veranstaltungen vermittelt.