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Städtebau: „An Fragen von morgen zu arbeiten beflügelt mich und spornt mich an“

Neuberufung: Prof. Dr. Radostina Radulova-Stahmer im Gespräch

Dr. Radostina Radulova-Stahmer wurde auf eine Professur für Städtebau an die Jade Hochschule berufen. Sie lehrt und forscht künftig im Fachbereich Architektur am Studienort Oldenburg. Die Jade Welt (JW) fragt nach…

JW: Frau Radulova-Stahmer, was hat Sie zum Wechsel an die Jade Hochschule bewogen?

Radulova-Stahmer: Die Jade Hochschule und den Fachbereich Architektur habe ich bereits beim Berufungsvortrag und der Lehrprobe als sehr sympathisch und entwurfsstark wahrgenommen. Das ist mir in guter Erinnerung geblieben. Der innerstädtische Campus in direkter Nähe zur historischen Kernstadt mit seinen abwechslungsreichen Bauten und Freiräumen (samt hoch biodiversem Naturschutzgebiet) hat mich sehr angesprochen. Ausschlaggebend war nicht zuletzt der Schwerpunkt auf Städtebau im Fachbereich, der neben dem Studiengang Architektur auch Urban Design Bachelor anbietet und mit dem neuen Urban Design Master weiter gestärkt wird. Hier entsteht eine progressive und dynamische Städtebau-Ausrichtung, die mich begeistert. 

Prof. Dr. Radostina Radulova-Stahmer (Foto: Jade HS/Andreas Rothaus)
Prof. Dr. Radostina Radulova-Stahmer (Foto: Jade HS/Andreas Rothaus)

Oldenburg als Stadt mit hoher Lebensqualität hat auch meine Familie überzeugen können. So ist für uns ein super Gesamtpaket entstanden, was mich dazu bewegt hat, mich unter einer Mehrzahl von Angeboten für die Jade Hochschule zu entscheiden.

Hier wird mir die Möglichkeit geboten, meine Projektvorhaben in Lehre und Forschung gut zu realisieren und damit meiner Leidenschaft für den Städtebau mit viel Gestaltungsfreiraum nachzugehen.

JW: Mit welchen Erwartungen und Vorstellungen treten Sie die Professur an?

Radulova-Stahmer: Ich bin überzeugt, dass wir als Architekt_innen und Städtebauer_innen mit unseren spezifischen disziplinären Fähigkeiten, Methoden und unserer Kreativität einen wesentlichen Beitrag zu unserer gebauten und freiräumlichen Umwelt leisten können und müssen.

Mit der Städtebau-Professur an der Jade Hochschule lege ich den Fokus auf innovative, räumliche Lösungswege für eine klima-positive, regenerative Entwicklung von urbanen und ländlichen Räumen, die ein Zusammenleben aller Lebewesen innerhalb der planetaren Grenzen zum Ziel haben.

In den Aufgabenfeldern Forschung und Lehre komplexe städtebauliche Zusammenhänge zu untersuchen und räumliche Lösungen zu erarbeiten, sehe ich bereits seit Jahren als meine Berufung. Besonders der persönliche Austausch mit Studierenden in Bezug auf die Dynamiken großmaßstäblicher und urbaner Systeme begeistert mich jedes Semester aufs Neue. Ich trete die Professur für das Gebiet Städtebau an, um die herausfordernde Aufgabe den Umbau des Stadt-Land-Kontinuums aktiv räumlich zu gestalten und die nachkommende Generation bestmöglich für die Herausforderungen vorzubereiten.

Dabei kann ich meine fachlichen Kompetenzen einsetzen, um einen nicht nur zeitgenössischen, sondern auch zukunftsorientierten Städtebau vor dem Hintergrund von Digitalisierung, Klimawandel, Artensterben und Ressourcenknappheit aufzustellen. Das Lehrgebiet „Regenerativer Städtebau“ zielt auf den Wissenstransfer zwischen Wissenschaft, Praxis und Kommunen im Sinne transdisziplinärer und transformativer räumlicher Gestaltungsansätze ab. Mit Publikationen, Ausstellungen und Forschungsprojekten möchte ich zur zukunftsweisenden, regenerativen Entwicklung von Orten und grenzüberschreitenden Regionen beitragen. Ich freue mich auf vielfältige interdisziplinäre Kooperationen und den Austausch auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene.

JW: Welche Schwerpunkte möchten Sie in Lehre und Forschung setzen?

Radulova-Stahmer: Damit Klimawende, Bauwende, Mobilitätswende und Bodenwende gelingen, dürfen Siedlungsräume nicht aus einer rein technischen Städtebau-Perspektive betrachtet werden, die seit der Moderne die Natur zu dominieren versucht. Wir müssen vielmehr die natürlichen Ökosysteme mit ihren Dynamiken als wesentliche Leitplanken für die Transformation des Stadt-Land-Kontinuums verstehen. Der Metabolismus ist dabei das grundlegende Element für die Bewältigung der klimatischen Herausforderungen. Wasser, Grünräume, Energie, Ressourcen, Mobilität und Abfall sind Systeme, die einen entscheidenden Einfluss auf unsere Lebensräume haben und räumlich integriert gestaltet werden.

Daher ist ein Schwerpunkt die „Territoriale Regeneration“. Er beinhaltet konkrete räumliche Fragestellungen, Strategien, Konzepte und Ansätze, um großräumige, transregionale Entwicklungen in Richtung planetaren Städtebau, Dekarbonisierung und ökologische Wende zu gestalten. Es werden Wechselwirkungen zwischen Systemen und Landschaften in verschiedenen Maßstäben untersucht und zukünftige räumlich-gestalterische Potenziale für das gemeinsame Co-Habitat aller Lebewesen erforscht, um den dringlichen ökosystemischen Bedrohungen und einer anhaltenden öko-sozialen Krise zu begegnen. 

Der zweite Schwerpunkt umfasst die „Digitale Transformation“ und baut auf meine Dissertation „Stadtraum im digitalen Wandel“ auf. Mit diesem erforsche ich die digitalisierungsbedingten räumlichen Veränderungen in Lebensräumen. Es wird untersucht, welche neuen Ansprüche IKTs, Big Data oder KI an den Stadtraum (aber auch an anderen Raumkategorien) stellen. Die technologische Entwicklung wird maßgeblich von globalen IT-Unternehmen bedarfsgenerierend vorangetrieben und zeigt konkrete negative räumliche Auswirkungen, die es weiter zu erforschen gilt, um zu einer gemeinwohlorientierten, räumlich integrierten Ausrichtung im Städtebau zu gelangen.

Und der dritte Schwerpunkt ist „Bios Boden“. Dabei geht es darum, zu verstehen, wie jede Form des Handelns, ob in Ökologie, Wirtschaft oder sozialen Beziehungen, mit der spezifischen Geografie, dem Terroir, mit den spezifischen systemischen und oft elastischen Grenzen zusammenhängt. Ich interessiere mich für die komplexen, systemischen Beziehungen zwischen Lebewesen, Ressourcen, Ökosystemen, Klima und Räumen, die sich alle im Boden manifestieren.

Die Studierenden lernen ihre Verantwortung im ökologischen, gesellschaftlichen und stadtwirtschaftlichen Gestaltungsprozess des Stadt-Land-Kontinuums kennen. Ideelle, reale und praxisbezogene Aufgabenstellungen sowie die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit lokalen Partner_innen und Akteur_innen fördern die Verantwortung für unsere gebaute Umwelt, sowie den aktiven und kritischen städtebaulichen Diskurs. 

Gemeinsam transdisziplinär in einem co-kreativen Prozess mit Studierenden, Kolleg_innen und anderen Akteur_innen an Fragen von morgen zu arbeiten beflügelt mich und spornt mich an, gemeinsam in der kritischen Dekade der Klimakrise, zukunftsweisende Strategien zu entwerfen, die eine regenerative Zukunft sichern.

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