JW: Herr Nieberg, mit welchen Erwartungen und Vorstellungen treten Sie die Professur an?
Nieberg: Ich habe schon immer die „Anwendung“ in der Mathematik als wichtigen Teil gesehen, diese zeigt sich natürlich am stärksten in der Informatik. An eine Hochschule (oder University of Applied Science, was ja genau die Anwendung hervorhebt) zu gehen, war schon lange ein Gedanke, den ich mit mir getragen habe.
Ich glaube, dass die Jade Hochschule einen guten Rahmen für einen interdisziplinären Austausch bietet, mit und zwischen Studierenden, Kollegen und Unternehmen. Reale Probleme erwarten reale Lösungen, gerade im Bereich der Optimierung, aber zwischen diesen beiden Punkten liegt eine Menge interessanter Fragestellungen und (mathematisch, IT-gestützter) Lösungswege die ich gerne einbringen möchte.
JW: Welche Herausforderungen sehen Sie?
Nieberg: „In Mathe war ich schon immer schlecht!“ ist leider eine mittlerweile gesellschaftlich akzeptierte Einstellung. Dabei umgibt uns die Mathematik in allen Bereichen des täglichen und beruflichen Lebens. Für die Lehre sehe ich dort die größte Herausforderung, gerade in der Studieneingangsphase die Angst vor Mathematik zu nehmen und den Nutzen und die Anwendung zu vermitteln.
Analog sehe ich dies für die (Wirtschafts-) Informatik. Noch vor 15 Jahren hat man das „Ubiquitous Computing“, also die Allgegenwärtigkeit der rechnergestützten Informationsverarbeitung, als nahe Zukunftsvision dargestellt - heute ist sie Realität, und das nicht erst, seitdem Kühlschränke mit dem Internet verbunden sind. Jeder benutzt heute wie selbstverständlich IT, aber das Wissen und Können, das dahintersteckt, rückt immer weiter in den Hintergrund. In der industriellen und wirtschaftlichen Anwendung fasst man dies mit dem Zusatz „4.0“ zusammen, und diese Realität gilt es zu vermitteln, industriell anzuwenden und weiter zu erforschen.
JW: Welche Schwerpunkte wollen Sie in Lehre und Forschung setzen?
Nieberg: Meinen Forschungsschwerpunkt sehe ich in der Schnittmenge von (mathematischer) Optimierung, Wirtschaftswissenschaften und Informatik, dieses Gebiet ist als „Operations Research“ (OR) bekannt. Insbesondere in Entscheidungsunterstützungssystemen und im Bereich der automatisierten Planung und Steuerung von Prozessen spielt OR eine wichtige Rolle. Auch der effiziente Umgang mit großen Datenmengen bietet spannende Themen: Denken Sie nur an „Machine Learning“, also das, was im Moment als „Künstliche Intelligenz“ in den Medien sehr präsent ist.
In der Lehre möchte ich neben der Theorie stärker den Nutzen und die Anwendung der IT und Mathematik in Industrie und Wirtschaft hervorheben.
Werdegang
Nach dem Mathematikstudium mit Nebenfach Wirtschaftsinformatik an der Universität Osnabrück und der University of British Columbia in Vancouver ging Tim Nieberg für fünf Jahre in die Niederlande, an die Universiteit Twente in Enschede. Dort promovierte er 2006 in Angewandter Mathematik und arbeitete anschließend als PostDoc für Optimierung im Gesundheitswesen am Fachbereich Management und Technik. 2007 wurde er für sechs Jahre an das Forschungsinstitut für Diskrete Mathematik der Universität Bonn als Professor für Diskrete Optimierung berufen.
Anschließend wechselte Nieberg in die Softwareindustrie und entwickelte unter anderem Verfahren für effiziente Datenextraktion, -transformation und -speicherung auf unstrukturierte Daten und darauf aufbauend Suchmaschinen und Programme. Diese dienen dazu, Daten zu lokalisieren, zu sichten und und zu durchsuchen, um diese beispielsweise als Beweismittel in zivil- oder strafrechtlichen Verfahren verwenden zu können.